Der Schluchtensteig führt durch die wilde Wutachschlucht und weiter über Berg und Tal durch typische Schwarzwaldlandschaft – Wald, Wiesen, einsame Bauernhöfe – über St. Blasien und Todtmoos bis zur weniger bekannten Wehraschlucht bei Wehr. Die Wutachschlucht ist schon lange bei Wanderern beliebt. Eigentlich liegt es nahe, die Wanderung um ein paar Etappen zu verlängern, trotzdem ist der Schluchtensteig ein Neuzugang unter den Schwarzwälder Fernwanderwegen: Es gibt ihn erst seit 11 Jahren. Er wurde seither als Premiumweg und Top Trail ausgezeichnet und gilt damit als einer der schönsten Treks Deutschlands. Zu Recht, wie ich finde.
Allerdings muss ich einschränken, dass die Treks dieses Landes in einer anderen Liga spielen als die schönsten Europas (mit GR20, diversen Treks in den Alpen oder Skandinavien etc. nicht zu vergleichen). Für Schwarzwälder Verhältnisse machen schmale Pfade einen recht großen Teil aus, trotzdem geht es oft über geschotterte Forststrassen. Auch bei den Schluchten darf man nichts allzu spektakuläres erwarten, diese sind nicht die Verdonschlucht oder Cañón del Sumidero. In meinen Kindheitserinnerungen hatte ich die Wutachschlucht irgendwie viel tiefer und felsiger abgespeichert, jetzt denke ich, dass man andernorts einfach Tal dazu gesagt hätte.
Dennoch sind die Schluchten und Schlüchtchen schön wild, mit verwunschenem Wald, gluckernden Bächen und vielen kleinen Wasserfällen. Und die Herbstfarben machen ganz schön was her. Auch geologisch ist die Wanderung interessant, in der Wutachschlucht erwandert man auf kurzer Strecke die gesamte Stratigrafie der südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft, vom Grundgebirge durch die Trias (Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper) bis ins Jura (Lias, Dogger, Malm).
(Dass auch der Querweg Freiburg – Bodensee durch die Wutachschlucht führt, einer der alten Fernwanderwege, merke ich erst unterwegs. Ich glaube nicht, dass er in seiner ganzen Länge häufig begangen wird. Obwohl ich lange in Freiburg gelebt habe hat mir nie jemand davon erzählt.)
Der Weg ist gut markiert, es gab aber auch eine Hand voll Abzweige, wo es kein Schild gab oder nur eines in Ost-West-Richtung.
Eigentlich wollte ich im Anschluss an ein Familienfest den Westweg laufen, aber der Wetterbericht sagt 10 Tage Dauerregen voraus. Den verbringe ich lieber in Schluchten als ohne Sicht von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt zu wandern.
Da ich sowieso eine Nacht in Gersbach verbracht hatte, wenige Kilometer vom offiziellen Ende in Wehr entfernt, laufe ich zunächst von dort abwärts und biege nahe des Stausees auf den Schluchtensteig ein. Dieser führt auf halber Höhe durch die Wehraschlucht (sodass die Strasse unten im Tal nicht sehr stört). Sehr schöner Bannwald, kaum Felsen oder Ausblicke.
Die nächste Etappe ab Todtmoos beginnt mit einer Minischlucht und führt dann über dem hübschen Dorf Ibach entlang. Dabei habe ich merkwürdiges Wetter, im Minutentakt wechseln Sonne und Regen. Ein Regenbogen spannt sich vor den Wolken, wo eigentlich der Feldberg zu sehen sein sollte. Und auf der anderen Seite öffnet sich kurz eine Lücke zwischen den Wolken und die Alpen kommen zu Vorschein. Dann gewinnen Regen und Nebel die Überhand und bis Sankt Blasien sehe ich nicht mehr viel. Kurz vor dem Ziel reißt es plötzlich auf, regnet am Abend aber wieder.
Bei Ibach passiere ich auch die Friedrich-August-Grube, die geologisch interessant ist: Ganz anders als die anderen Erzvorkommen im Schwarzwald (überwiegend hydrothermale Blei-Silber-Zink-Gänge) handelt es sich um eine metamorph überprägte Nickellagerstätte, die magmatisch in einem Gabbro entstanden ist, und zwar lange vor der variszischen Gebirgsbildung (siehe auch mein Buch Die Welt der Rohstoffe).
Wieder geht es durch eine sehr hübsche Minischlucht, die Windbergschlucht. Die winzigen Dörfer oberhalb, Althütte und Muchenland, gefallen mir auch (wohnen will ich dort jedoch nicht), ansonsten werde ich mit dieser Etappe nicht so recht warm. Das liegt auch am Wetter, es schüttet ohne Unterbrechung und bleibt so finster, dass ich mich Mittags frage, wann die Morgendämmerung endlich aufhört. Und der Schluchsee ist halt auch nur ein Stausee.
Auch am Bildstein, einem Aussichtspunkt oberhalb des Schluchtsees, sehe ich vor allem dunkle Wolken. Der Felsen besteht übrigens (untypisch für den Schwarzwald) aus Tonschiefer aus dem Devon. Er gehört zur Badenweiler-Lenzkirch-Zone, einem schmalen Streifen Sedimente, der sich quer durch die Gneise und Granite zieht und der als variszische Sutur interpretiert wird, d.h. hier kollidierten zwei Kontinente miteinander (siehe auch mein Buch Bewegte Bergwelt).
Am nächsten Morgen, bei Regen, biegt am Ortsausgang von Lenzkirch eine Kuhherde vor mir ein und die Bäuerin besteht darauf, dass ich nicht überhole, weil der Bulle dabei ist. Also erstmal Schneckentempo… Endlich beginnt die Haslachschlucht und es wird wieder interessant. Sehr hübsch ist die Engstelle am Rechenfelsen. Wenig später fließt die Haslach mit der ähnlich großen Gutach zusammen, hier wird die Gutach zur Wutach. Noch etwas weiter zweigt die Rötenbach-Schlucht ab, in die ich einen Abstecher mache. Insbesondere der mittlere Teil mit Miniwasserfällen ist hübsch. Die Wutachschlucht wirkt am Räuberschlösschen erstmals schluchtig (hier steckt ein Porphyrstock im Granit). Es lohnt sich auch, auf dem Weg (Richtung Gündelwangen) zur Wutach abzusteigen und den Felsen von unten anzusehen.
Im Bereich Schattenmühle und Boll handelt es sich wieder eher um ein Tal. Sehr schön ist aber der kurze Abstecher in die enge Lotenbachklamm. Nach Boll beginnt der bekannteste und felsigste Teil der Wutachschlucht, die hier in den Muschelkalk eingeschnitten ist. Hier gibt es den einzigen richtigen Tiefblick und kleine interessante Wasserfälle mit Sinterbildung, die entfernt an Plitvice erinnern.
Dass an einer Stelle ein Teil der Wutach im Untergrund versickert, ist bei Hochwasser nicht zu erkennen, aber der Wiederaustritt etwas weiter ist ein Highlight: der Weg führt hier direkt unter dem Felsen am Fluss entlang und das Wasser strömt an mehreren Stellen knapp oberhalb des Flusses aus den Klüften.
Mit dem Abzweig der Gauchach-Schlucht ist das Ende der Wutachschlucht erreicht. Ich mache wieder einen Abstecher, auch die Gauchach-Schlucht hat ein paar hübsche Stellen. Dann gehe ich durch das weite Tal nach Achdorf. Hier biegt die Wutach fast im rechten Winkel nach Süden ab, während geradeaus in einem passähnlichen Einschnitt zwischen Eichberg und Buchberg das Städtchen Blumberg liegt. Dies ist ein Klassiker der Geomorphologie: Bis vor etwa 20.000 Jahren, als die Wutachschlucht noch nicht existierte, gab es stattdessen ein wenig eingeschnittenes Tal mit der sogenannten Feldberg-Donau, die hier geradeaus weiter floss und damals der Hauptquellfluss der Donau war.
Die Quellen der Wutach befanden sich südlich von Achdorf jenseits einer schmalen Wasserscheide und da der Rhein deutlich tiefer lag, schnitt die Wutach schnell ein tiefes Tal ein (Wutachflühen). Irgendwann durchbrach die Feldberg-Donau die Wasserscheide und so wurde aus dem Hauptzufluss der Donau ein Nebenfluss des Rheins. Wie das genau passierte ist nicht ganz klar. „Rückschreitende Erosion“ war früher ein Zauberwort der Geomorphologen, aber die Erosion oberhalb der Quelle dürfte gering gewesen sein. Wahrscheinlicher ist, dass die Feldberg-Donau ihr Tal derart aufgeschottert hat, dass sie überlief und damit starke Erosion einsetzte.
Früh morgens sitze ich mit grandioser Aussicht an der Buchberghütte, mit tollem Blick auf das Wutachtal (talabwärts sind schön die Felsen der Wutachflühen zu sehen), auf die Alpen und den Schwarzwald. Bei den Wutachflühen ist das Tal nochmals steil und tief, allerdings sind die Felsen mit Malmkalk kaum vom Weg zu sehen, der etwas unterhalb durch den Wald führt. Die Sauschwänzlebahn mit ihren vielen Kehrkurven wird mehrfach gekreuzt und zweimal dampft die Museumsbahn tatsächlich an mir vorbei.
Ab Bahnhof Weizen bis Stühlingen ist der Weg wegen Straßenlärm nicht mehr so schön. Am Ortseingang von Stühlingen überquere ich die Schweizer Grenze und wandere noch 3 km nach Schleitheim. Von hier fährt stündlich ein Bus nach Schaffhausen (für den Rheinfall in Neuhausen Rheinhof aussteigen, in der Burg neben dem Rheinfall ist eine Jugendherberge).