Eine Bergbesteigung bringt oft unerwartete Überraschungen und in diesem Fall lag es am Todestag von Khomeini und den vier Ferientagen, die zu einem regelrechten Exodus aus Teheran in Richtung Strand führten. Am Busbahnhof trafen wir einen verzweifelten Bergsteiger aus Tabriz, der mit uns ein Taxi teilen wollte. Die Busse fuhren nämlich nicht, weil so viel Verkehr war. Nach harter Verhandlung mit dem Fahrer starteten wir in den Iman Khomeini Gedächnisstau und legten die gesamte Strecke in Stop and Go zurück. In so einem Stau stehen nicht etwa so viele Autos nebeneinander, wie es Spuren gibt, sondern vielmehr so viele, wie dort (inklusive Standstreifen) drauf passen, ohne die kleinste Lücke zu lassen. An jeder Ausfahrt wird versucht, rechts zu überholen und die wieder hineindrängenden Autos regen nicht gerade den Verkehrsfluss an. An einer Baustelle fuhren wir wie viele andere relativ zügig auf der gesperrten Hälfte der Autobahn, bis wir zu einem Gewirr aus Geisterfahrern und Kreuz und Quer stehenden Autos kamen. Geradeaus ging es nicht weiter, weil eine Brücke fehlte, stattdessen drängelten wir über eine steil aufwärts führende sandige Piste, auf der einige auf Steinen aufsetzten oder stecken blieben, auf die andere Seite. Von der Autobahn runter wurde es nicht besser. Es ging über einen Pass, rechts standen alle 20 Meter liegen gebliebene Fahrzeuge und Menschen auf der Suche nach Kühlwasser und links wurde gnadenlos die Fahrbahn des Gegenverkehrs mit benutzt. Wenn wirklich jemand entgegenkam, ging erst mal nichts mehr. Der Polizei blieb nichts anderes übrig, als die Straße für den Gegenverkehr zu sperren!
Endlich im Dorf Polour angekommen ließen wir uns auf einem LKW an den Startpunkt der Wanderung, zu einer kleinen Moschee, fahren, wo wir und unser neuer Freund erst einmal übernachteten.
Die Nacht darauf verbrachten wir in einer völlig überfüllten Biwakschachtel, die von einer Zeltstadt umgeben war. Die Ferien hatten auch hier oben zu einer regelrechten Völkerwanderung geführt. Hier wurde uns klar, dass man nicht die Rücksicht erwarten kann, die man vielleicht von einer Schweizer Berghütte kennt. Da wird bis spät in die Nacht laut geschwatzt, Tee gekocht, per Handy Musik gehört oder telefoniert, mit Lampen herumgeleuchtet und Rucksäcke gepackt und kaum hat sich der letzte endlich hingelegt, stehen die ersten wieder auf. Inzwischen traten auch zwei unangenehme Eigenschaften unseres neuen Freundes auf: Er hatte nicht nur eine laute Stimme, sondern redete auch noch ohne Punkt und Komma. Wie sehr er uns vereinnahmte, indem er allen Iranern gegenüber damit angab, unser Freund zu sein, wurde uns erst später klar. Das ging so weit, dass er sich dazwischen drängelte, wenn wir mal mit jemand anderes redeten. Oder er wollte, dass wir auf ihn warten, bevor wir eine größere Gruppe passierten, die sehen sollte, dass er dazu gehört….
Wir machten uns früh auf den Weg, weil wir die Massen vermeiden wollten und stiegen schnell an, dank des Akklimatisierungsspaziergangs am Vortag. Es war eisig kalt und wegen des Winds machten wir kaum Pausen, sodass wir schon bald auf stolzen 5670 m Höhe standen. Ich begann sogleich zu zittern, die Kälte machte mir mehr zu schaffen als die Höhe und wir ließen uns kaum Zeit, den Blick über das Elbursgebirge schweifen zu lassen (s.a. Bewegte Bergwelt) oder den aus dem Berg quellenden Schwefelschwaden zuzuschauen.
Der Vulkankegel Damavand thront auf den Ketten des Elbursgebirges. Zu sehen sind vor allem hohe, lange Bergrücken ohne nennenswerte Einschnitte oder Gipfel. Der Rücken gleich gegenüber zum Beispiel zieht sich 40 km auf etwa 4000 m Höhe hin. Damavand überragt sie alle, aber auch dessen Gletscher hat sicherlich schon bessere Zeiten gesehen, es sind nur ein paar Schneerinnen übrig.
Die anderen Wanderer geben eine lustige Mischung ab, da sind Profis, die für den Piz Lenin trainieren, aber auch unerfahrene, die offensichtlich keine Ahnung von den Gefahren der Höhe haben. Besonders lustig war eine Gruppe, die scheinbar alles Equipment mit schleppte, was sie auftreiben konnte, egal wie sinnvoll es war. Einer hatte eine Skibrille auf (bei bestem Wetter vor Sonnenaufgang), zwei waren behelmt und der vierte trug einen Klettergürtel, an dem allerlei Material baumelte…
Der Weg wieder runter klappte in einem Rutsch bis zurück nach Teheran, wo wir uns auch von unserem neuen Freund verabschiedeten. Seine Einladung, ihn zu besuchen, werden wir vermutlich ausschlagen. Das Gequatsche und das „Mister“ konnte ich am Ende genauso wenig ertragen wie den geschmacklosen Weichkäse auf trockenem Brot.
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Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2