Liberal und lebensfroh gibt sich die Innenstadt von Beirut. In der aus den Trümmern des Krieges auferstandenen Pseudoaltstadt voller schnieker Boutiquen fühlt man sich weit weg vom Nahen Osten, wenn nur nicht an jeder Ecke ein Panzer stehen würde. Auch in den Bars und Clubs sieht man, dass hier Geld ist, wo auch immer es herkommt, die Preise haben durchaus europäisches Niveau.
Die einzige Erklärung, die ich für den plötzlichen Reichtum finde, sind die Exillibanesen, von denen es doppelt so viele gibt als Libanesen im Lande.
Ein paar Blocks weiter stehen immer wieder halb eingestürzte Häuser voller Einschusslöcher, die an den Bürgerkrieg erinnern, in dem sich dutzende Splittergruppen gegenseitig bekriegten. Unglaublich, wie viel Konfliktpotential in so ein winziges Land passen: klerikalfaschistische Christen (die maronitische Phalange), nationalistische Christen, panarabisch-nasseristische Nationalisten, islamistisch pro-Iranische Shiiten (Hisbollah), pro-Syrische Shiiten, islamistische Sunniten, die palästinensische PLO, die israelfreundliche Südlibanesische Armee, Kommunisten diverser Schattierung, pro-Syrische Baathisten, pro-Irakische Baathisten und so weiter und so weiter…. Und zwischendurch griffen auch noch Israel und Syrien ein. Die Fahnen diverser Milizen (bzw. jetzt Parteien) hängen überall in den Straßen der Städte. An den Wänden kleben Plakate, die irgendwelche Märtyrer abfeiern.
In Tripolis im Norden des Landes ist der Konflikt deutlich zu spüren, Soldaten sitzen hinter Sandsäcken, Panzer rasseln durch die Straße, mit Plakaten verzierte Parteigebäude sind voller Einschusslöcher und ich bleibe nicht lang, um Mamlukenarchitektur anzusehen.
Etwas außerhalb von Beirut liegt die Jeita-Höhle. Normalerweise bin ich kein großer Fan von Schauhöhlen, weil durch das Licht und die Betonwege das abenteuerliche Höhlen-Gefühl verloren geht. Die beiden mit phantastischen Tropfsteinen voll gestopften Kammern sind aber so riesig, dass ich beeindruckt bin. Eine Formation sieht aus wie überdimensionierte Psyllo-Pilze, was durchaus meine Phantasie anregt. Kurz darauf fragt mich ein dicker Aufseher, an dessen Goldkettchen ein Kreuz baumelt, ob ich das Gesicht Jesu gesehen hätte. Er führt mich einige Schritte zurück zu einem Gesicht, dass allerdings weder lange Haare, noch einen Vollbart hat, sondern ein Spitzbärtchen am Kinn. Wie kann man nur so fundamentalistisch verblendet sein, um Jesus mit Lenin zu verwechseln? Zum Glück war ich recht früh gekommen, während ich mit einem Boot durch die untere Kammer fahre, kommen die großen Gruppen an. Es ist halt doch eine Touri-Attraktion, komplett mit Minizoo und Bimmelbahn.
Von den Ruinen in Byblos und Tyre war ich erst einmal enttäuscht, vor allem weil sie von Hochhäusern umgeben sind, anstatt einsam in lieblicher Landschaft zu liegen. Vielleicht bin ich da etwas von romantischen Gemälden beeinflusst, auch wenn ich diese gar nicht leiden kann? Ein anderer Reisender gab mir jedenfalls in Byblos von seiner Begeisterung ab. Hier sieht man Geschichte, über zig Jahrtausende hinweg, auch wenn das meiste nur Grundmauern sind. Sehr, sehr alte Grundmauern, überwiegend aus dem 2. und 3. Jahrtausend v. Christus. Dort drüben chalkolithische Häuser, links zwei frühbronzezeitliche Tempel und ein Tor, rechts phönizische Gräber, hinten eine persische Festung, hier ein paar römische Säulen, vor uns eine Kreuzfahrerburg und drumherum zeitgenössischer Beton…
Dieser Abschnitt der Levante wurde vor allem durch Zedern reich (unter den Phöniziern kam noch Glas und Purpur dazu). Zedernholz war lange Zeit so beliebt, dass irgendwann der römische Kaiser Hadrian Schutzgebiete einrichten ließ. Genutzt hat es nicht, die verbliebenen Reste sind so winzig, dass das Wort „Hain“ schon fast eine Übertreibung ist.
Römische Ruinen sehe ich in Tyre und Baalbek. Tyre hat unter anderem eine riesige Pferderennbahn, kommt aber kaum gegen die Tempel von Baalbek an, die zu den gigantischsten Bauten gehören, die die Römer je gebaut haben. Die Dimensionen des Jupitertempels kann man durch die wenigen stehenden Säulen erahnen. Der etwas kleinere Bacchus-Tempel ist wesentlich besser erhalten. Die Tempel entgingen dem Schicksal anderer Ruinen, als Steinbruch zu dienen, da die Araber sie in eine Festung umbauten.
Baalbek ist eine Hochburg der islamistischen Hisbollah, der vom Iran gesponsorten Miliz, deren Fahnen und Plakate überall zu sehen sind. Ein Plakat zeigt beispielsweise den Chef-Mullah mit einem Maschinengewehr in Siegerpose vor dem Felsendom in Jerusalem. Er lächelt humorvoll, vielleicht auch eher diabolisch. Das Plakat drückt das Hauptziel aus: die Vernichtung Israels. Nicht nur in Baalbek (z.B. auch in Syrien) verkaufen Händler Hisbollah-Shirts und Feuerzeuge und ich treffe sogar Touristen, die diese für Befreiungskämpfer halten. Erst vor wenigen Monaten hat die Hisbollah in einer Art Staatsstreich ihre Macht gezeigt. Sie kontrolliert den tiefsten Süden, wo es um nichts anderes als den bösen Nachbar geht.
Der Hass gegen den südlichen Nachbarn scheint allgemein zu sein (während vor ein paar Jahrzehnten noch einige den israelischen Einmarsch befürwortet hatten), und wird oft von einem heftigen Antisemitismus begleitet. In der Nähe von Beirut treffe ich beispielsweise einen auf den ersten Blick sympathischen jungen Mann, der sich freut, dass ich nicht einfach den Medien glaube, was diese über den Nahen Osten schreiben, sondern mich selbst umschaue. Doch dann breitet er vor mir sein antisemitisches Weltbild aus, das alle meine schlimmsten Vorurteile über Araber in den Schatten stellt. Er beginnt damit, dass die europäischen Medien lügen würden, weil sie von Juden beherrscht seien, versucht mich zu überzeugen, dass die Juden heimlich die Welt regieren würden. Er hält sich für einen Sklaven, der letztlich nur für die Banken arbeitet (obwohl er ein dickes Auto fährt). Er meint, der Holocaust sei von den Juden erfunden worden, um die Staatsgründung Israels durchzusetzen und preist schließlich Adolf, dass dieser das einzig Richtige getan hätte… Meinen nicht gerade zustimmenden Bemerkungen hält er entgegen, wir Deutschen würden nicht mehr die Wahrheit sagen, weil die Juden die Macht über uns gewonnen hätten. Au weia. Das schlimme ist, dass solche Vorstellungen kein Einzelfall sind.
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Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2