Lappland im höchsten Norden von Schweden gehört zu den wenigen richtig wilden Landschaften Europas. Große Seen, vergletscherte Berge, Hochebenen und Täler mit wild verflochtenen Flüssen prägen die Landschaft (s.a. Bewegte Bergwelt). Hier grenzt ein riesiger Nationalpark an den nächsten und Sarek ist das abgelegene Herz des ganzen. Dieser Nationalpark hat keine Infrastruktur wie Hütten, die nächste Straße ist 2 Tage Fußmarsch entfernt. Es gibt nicht einmal Wanderwege, abgesehen von zwei sich kreuzenden Routen, doch selbst diese sind nicht markiert. Und Brücken gibt es nur, wo es wirklich absolut notwendig ist.
Es ist unglaublich, wie viel Wasser auf einem einzigen Fleck Erde sein kann. Von allen Seiten kommen wilde Bergflüsse herunter, immer wieder gibt es heftige Regenschauer und nicht nur die Täler, sondern selbst steile Hänge sind ein einziges Moor. Kein Wunder, dass viele der Einheimischen hier mit Gummistiefeln wandern (und das nicht etwa, weil dies die diesjährige Sommermode ist). In den Sümpfen brüten Armeen von Moskitos, eines Nachts wache ich von einem Geräusch auf, das wie Regen klang, der auf die Zeltplane platscht. Es waren jedoch tausende Moskitos, die einen Weg ins Innere suchten.
Um in diese wilde Gegend zu kommen, marschierte ich im norwegischen Minenort Sulitjelma los, weil das von den Lofoten aus via Fauske mit Fähre und Bus zu erreichen ist. Im Rucksack hatte ich genug Essen für 13 Tage. Ich weiß nicht, wie viel mein Rucksack wog, auf jeden Fall wog er zu viel. Allein das Ding auf den Rücken zu hieven war schon eine Qual. Und jetzt loslaufen, über einen hohen Pass nach Schweden hinüber. Bei Regen, der immer stärker wurde. All die Bergbäche waren so angeschwollen, dass ich wirklich bei jedem die Schuhe ausziehen musste, was einem bei kaltem Regen irgendwie verkehrt vorkommt. Am Abend war ich froh, dass ich meine Kleider am Ofen der Berghütte Sørhus trocknen konnte. Während draußen der Sturm um die Hütte fegte, erzählte der Hüttenwirt, dass vor wenigen Jahren ein Blizzard die gesamte Hütte über den See geweht hatte. Dort könne man noch immer Trümmer finden. Die neue sei besser verankert, beruhigte er mich. Am nächsten Tag blinzelte hin und wieder die Sonne heraus und ich konnte beim Überschreiten der Grenze auf die Berge zurückblicken.
Hier war ich im Padjelanta Nationalpark. Ich passierte die wunderschön gelegene Hütte Sårjåsjaurestugan und baute mein Zelt zum nächtlichen Sonnenuntergang mit Blick auf den See Virihaure auf. Durch diese Gegend führt der gut ausgebaute Wanderweg Nordkalottleden, sodass ich immer mal wieder auf Wanderer traf. Jedoch so wenige, dass man immer ein paar Worte wechselt. Die einzige Ausnahme war ein Typ, an dessen Rucksack ein Rengeweih baumelte, ohne meinen Gruß zu erwidern stürmte er an mir vorbei und machte einen Hügel weiter ebenfalls Rast.
Dies ist leider auch eine Geschichte von versagendem Material. Die Sohle meiner Wanderstiefel, die erst kurz vor der Reise neu besohlt worden waren, löste sich wieder. Ab jetzt war ich jeden Abend mit einer Tube Kleber beschäftigt, doch im Laufe des nächsten Tages löste sie sich jedesmal wieder, noch etwas mehr.
Meine nächste Etappe brachte mich zur Hütte Tarraluoppalstugorna, wo ich den Wanderweg verließ und weglos in die Bergwelt von Sarek eintauchte. Die nächsten Tage traf ich keine Menschenseele, ich war allein mit den Bergen und den Rentieren. Anfangs machte ich große Umwege, um einen Sumpf zu umgehen, nur um dann doch noch nasse Füße zu bekommen. Dann vertauschte ich die Stiefel mit meinen Sandalen und machte nur noch kleine Umwege um die tiefsten Stellen. Quatsch, quatsch, der Schlamm schlatzte mit jedem Schritt gegen meine Regenhose. Ich saute mich völlig ein, der Schweißgeruch mehrerer Tage mischte sich mit dem modrigen Geruch des Moores. Aber das Wasser der Moore ist gar nicht mal so kalt und ich kam wieder schnell vorwärts. Dann riss der Riemen meiner Sandale (1 Jahr alt). Kurz entschlossen schnitt ich die Hosenträger meiner Gore-Hose ab und knotete mir einen neuen. Doch bald musste ich feststellen, dass es etwas Schlimmeres gibt als Sümpfe, nämlich schier undurchdringbares Gestrüpp, das den Talboden der Sarvesvagge versperrt. Ich folgte den Pfaden der Rentiere, brauchte aber einen halben Tag für wenige Kilometer. Endlich konnte ich einen steilen Hang hinauf krabbeln, um zum Bergsee Dielmajavrasj aufzusteigen.
Am nächsten Morgen erschreckte ich einige Rentiere, als ich aus meinem Zelt krabbelte. Doch mit der Zeit waren sie eher neugierig. Das perfekte Wetter nutzte ich für einen Abstecher auf den Kanalberget, einem der Gipfel dieser Gegend. Ein Rentier lief mir streckenweise hinterher und stapfte dann über den flachen Gletscher.
Ich stieg in das Rapadalen hinunter. Einmal rutschte ich in einem steilen Moor aus, bei einem der Stöcke versagte die Arretierung, er zurrte zusammen und ich sass in einem Tümpel. Der Rucksack tropfte zwar nach dem Aufstehen, war aber innen relativ trocken geblieben. Ab jetzt hatte ich einen Stock, der etwas kürzer war als der andere.
Auf der anderen Seite des Tales verläuft eine der Hauptrouten durch den Nationalpark, aber der reißende, weit verzweigte Fluss ist absolut nicht zu durchqueren. Daher musste ich auf der „falschen Seite“ zur Brücke Skarja, nur um 2 Tage später am anderen Ufer anzukommen….
Die falsche Seite war eine Qual, Matsch und Büsche wechselten sich ab. Einer der unzähligen Bäche, die ich durchwaten musste, war so reißend, dass meine Stöcke wie die Seite einer Gitarre zu schwingen begannen. Fast bis zur Unterhose im eiskalten Wasser überlegte ich, ob so ein Stock vielleicht bricht oder ob man von dem kalten Wasser einen Krampf bekommen kann und was das wohl für Folgen hat…
Inzwischen fing ich an, mit mir selbst zu reden. Nur einzelne Sätze, mal ein „das hat sich aber mal gar nicht gelohnt“ und was man sonst so leise denkt, aber die Tage der Einsamkeit zeigten ihre Wirkung.
An der Brücke Skarja war plötzlich einiges los. Aus allen Richtungen kamen sie angewandert und es standen schon mehrere Zelte da. Besonders gesprächig war ich nicht, vielleicht gab ich ein ähnliches Bild ab wie dieser Typ mit dem Ren-Geweih. Ich folgte nun der Hauptroute durch das Rapadalen, in Sandalen, sodass ich in Sümpfen und an den Flüssen allen anderen überlegen war. Während die anderen sich umständlich für eine Flußdurchquerung umzogen, lief ich ohne abzubremsen hindurch. Nicht mal die Hose krempelte ich hoch, die wurde dann wenigstens wieder sauber… Und verglichen mit dem einen Bach waren diese ein Kinderspiel. Viel schlimmer waren die Moskitos, die immer mehr wurden. Am zweiten Tag wanderte ich in einer Wolke von Plagegeistern, die mich so nervten, dass ich bei der ersten Gelegenheit auf das Hochplateau aufstieg. Dort waren die Blicke sowieso besser und ich konnte den Skierffe von hinten erreichen.
Der Skierffe ist eine 700m hohe Felsklippe über dem Delta, in dem der Fluss in einen See mündet. Die auf beiden Seiten von Felsen eingeklemmte grüne Fläche mit verzweigten Flussarmen und Seen ist so grandios, dass ich einen Tag später auch noch auf den gegenüber liegenden Berg stieg.
Doch zuerst entspannte ich mich an der Hütte Aktse, wo ich auch meinen Proviant auffüllen konnte. Vor allem Schokolade und Käse waren schon länger ausgegangen.
Von hier lief ich auf dem Kungsleden nach Norden. Inzwischen hatte sich an der Schuhspitze, wo einmal die Sohle war, ein Riss gebildet, durch das das Moor direkt hinein quatschte. „Hallo Moor“, sagte mein Fuß. „Hallo Fuß“, antwortete das Moor. Die beiden verstanden sich ganz gut und mit der Zeit bildete sich ein angenehmes Mikroklima. Bleibt zu erwähnen, dass ich keine Blasen bekommen habe. Der breite Wanderweg kam mir wie die reinste Autobahn vor, es wimmelte nur so von Menschen. Ausgerechnet als ich über den See Sitojaure wollte, war ich allein. Man kann entweder am Morgen das Motorboot nehmen oder sich in eines der Ruderboote setzen. Allerdings muss danach an jedem Ufer mindestens ein Ruderboot liegen. Da an meinem Ufer nur eines war, musste ich also hinüberrudern, ein Boot in Schlepptau nehmen und zurückrudern, bevor ich endgültig zum neuen Ufer aufbrechen konnte. Das beschäftigte mich drei Stunden lang, bei der letzten Fahrt ruderte ich in den Sonnenuntergang hinein. Bei uns muss man dafür bezahlen, um auf einem Ententeich herumzudümpeln und hier bekam ich 3 Stunden umsonst. Eine einzige Überfahrt hätte mir allerdings auch gereicht.
Einen Tag später kam ich in Saltoluokta an, dem Endpunkt meiner Wanderung. Hier ließ ich es mir gut gehen, das Buffet mit Rentier und Salaten war phantastisch und die Sauna mit Panoramafenster und Blick auf Berge und See waren ein passendes Ende dieses fünfzehntägigen Abenteuers.