Im Harzvorland nördlich von Thale ragt eine wenige Meter dicke, senkrecht stehende Sandsteinschicht aus dem Hügelland: die mythenumrangte Teufelsmauer (ein zweites Segment gibt es bei Blankenburg). Die Mythen interessieren mich weniger, viel spannender ist die Geologie. Der Harz, der als Pultscholle entlang seiner nördlichen Randverwerfung gehoben wurde, wurde über die Sedimente des Vorlandes überschoben. Diese wurden dabei mitgeschleppt bzw. nach oben gefaltet, sodass sie unmittelbar vor dem Harzrand senkrecht nach oben stehen. Bei den meisten Schichten ist dies nicht zu sehen, da sie zu einer Hügellandschaft erodiert sind, doch die Sandsteinschicht der Teufelsmauer ragt weithin sichtbar daraus hervor.
Thale selbst gibt sich als Mythenstadt und versucht mit Hexen, Wotan und allerlei mehr seine Besucherzahlen in die Höhe zu treiben. Im Bodetal südlich von Thale ragen hohe Granitfelsen senkrecht empor. Die Felsen sind durchaus spektakulär. Wenn man von unten hinauf schaut, denkt man vielleicht an Göschenen oder Grimsel und vermutet dort oben ein Hochgebirge. Stattdessen ist die Landschaft dort oben flach, als seien die Berge mit einem scharfen Messer weggeschnitten worden. Auf dem Harz ist es tatsächlich so flach, dass die Bezeichnung „Berg“ einfach lächerlich ist. Nicht einmal der kleinste Hügel ist auszumachen. Der in der Ferne sichtbare Brocken ist die alles überragende Ausnahme.
„Die tiefste Felsenschlucht nördlich der Alpen“ steht auf einem Schild im Bodetal, entweder war der Autor noch nie in Norwegen, oder er geht stillschweigend davon aus, dass der Tellerrand nicht über die deutsche Grenze hinaus geht.
Diverse Dichter tummelten sich hier einst, an die heute allerlei Tafeln erinnern. Heinrich Heine verglich die drei Täler des Harz, das Ilsetal, das Bodetal und das Selketal mit drei Frauen unterschiedlichen Charakters. Das steht auch auf einer der Tafeln, die aber verheimlicht, dass das Bodetal ihn nicht so gnädig, nämlich mit Regenschauern empfing. „Nun, ich bin Paris,“ schrieb Heine, „die drei Göttinnen stehen vor mir, und den Apfel gebe ich der schönen Ilse.“ Dort hin sollte ich vermutlich meinen nächsten Ausflug machen.
Ich folgte dem Bodetal durch den felsigen „Bodekessel“. Etwas weiter wird die Landschaft weniger spektakulär, statt in Granit (Ramberggranit) ist die Schlucht hier in Schiefer der Blankenburger Zone eingeschnitten.
Trotzdem wimmelt es hier nur so von Pathos schwallenden Tafeln, über „eine satte Landschaft aus interessanter Perspektive“ und vor allem die „Bergeshöhen, wo der Vorwelt Schauer wehen“. Der Schauer läuft mir ob dieser Zeilen den Rücken herunter. Es stürmt und drängt nur so! Mich jedenfalls drängt es zurück zu den Granitfelsen, zum besten Aussichtspunkt, hinauf auf die Rosstrappe.