Die Tschingelhörner sind geradezu eine Ikone der Tektonik: durch eine scharfe Linie sind sie in zwei Stockwerke völlig unterschiedlicher Gesteine unterteilt. Oben permische Sedimente (Grauwacken usw.), die sich über die jüngeren, nahezu unverschobenen Sedimente (Kalkstein, Flysch) geschoben haben. Ganz nebenbei ist in der Felswand noch ein großes rundes Loch, das Martinsloch. Die Linie ist die Glarner Hauptüberschiebung und die Gesteinsdecke darüber gehört zum helvetischen Deckensystem. Hier wurde überhaupt zum ersten Mal der Deckenbau der Alpen erkannt und das Ganze ist tatsächlich so gut zu sehen, dass es zu Recht zum Weltnaturerde erklärt wurde.
Um noch ein paar last-minute-Fotos für mein Buch über Gebirgsbildung zu schießen, machte ich im September eine kurze Exkursion in die Alpen. Zu den Tschingelhörnern nimmt man am besten den Postbus ab Chur bis Flims und fährt von dort mit der Bergbahn zum Cassons. Hier steht man bereits auf der Überschiebungsfläche, die auf der anderen Seite eines Tälchens an Piz Dolf und Piz Segnes als markante Linie zu sehen ist. Eine zweistündige Wanderung zum Segnes-Pass führt an den klassischen Aussichten auf die Tschingelhörner vorbei, über die Segneshütte führt ein Weg wieder hinunter nach Flims.
Flims selbst steht auf einer weiteren geologischen Attraktion: vor etwa 10000 Jahren lösten sich riesige Felsmassen und stürzten ins Vorderrheintal, wo sie als Hügellandschaft liegenblieben. Zeitweise wurde der Rhein aufgestaut, bis er die Rheinschlucht eingegraben hatte. Der Flimser Bergsturz ist der größte Bergsturz der Alpen.
Mit dem Zug fahre ich nach Sankt Moritz und steige dort in einen Bus nach Promotogno im Bergell. Der Bergeller Granit ist neben dem Adamello die einzige größere Granitintrusion, die während der Bildung der Alpen entstand. Das Massiv besteht aus beeindruckenden Bergen mit schroffen Felswänden. Ein schöner Wanderweg verbindet die Berghütten Capanna di Sciora und Capanna Sasc Furä. Am höchsten Punkt, oberhalb der Furä, steht man direkt unterhalb der riesigen Nordwand des Piz Badile und hat einen großartigen Blick auf Pizzo Cengalo und Sciora.
Schließlich fahre ich zum Bergdorf Soglio, das zu Recht von Touristen frequentiert wird. Die alten Häuser drängen sich auf einer kleinen Terrasse um den Kirchturm, dahinter ragen die Granitfelsen auf. Ein netter Spazierweg führt mich hinunter nach Stampa, wo ich in den Bus zurück nach Sankt Moritz springe.