Direkt nördlich von Martigny schneidet das Rhonetal durch die Morcles-Decke, in der ein paar der schönsten Falten der Alpen zu sehen sind. Grund genug, die Tour du Mont Blanc mit einer Wanderung an den Dents de Morcles abzuschließen, um noch etwas Geologie anzusehen: in 3 Tagen von der Seilbahn Dorenaz über Portail de Fully, Demècre, La Tourche, Pont de Nant, Anzeinde nach Derborance (Beschreibung mit Karten und geologischen Skizzen bei der ViaGeoAlpina).
Neben der spannenden Geologie begleiten mich dabei tolle Ausblicke auf das Mont-Blanc-Massif, Grand Combin, die Zacken der Dents du Midi, auf den Genfer See und ganz am Ende (am Pas de Cheville) auf Matterhorn, Dent Blanche und Weisshorn.
Wie die helvetischen Decken besteht die Morcles-Decke aus Sedimenten, die auf dem europäischen Kontinentalrand abgelagert wurden (vor allem Kalksteine aus Jura und Kreide). Sie wird jedoch in der Regel zum Parautochthon (d.h. zur fast unbewegten Sedimentauflage des Grundgebirges) gezählt, da sie im Gegensatz zu den weit bewegten helvetischen Decken nur eine geringe Strecke zurückgelegt hat. Dabei wurde die Front der Decke nach unten umgeklappt, sodass die gesamte Decke eine riesige liegende Falte ist. Diese ist so groß, dass man schon ein Stück wandern muss, um jeden Teil der Falte zu sehen. Die Schichten innerhalb der Falten wiederum sind in unzählige kleinere Falten gelegt.
An den Dents du Midi auf der gegenüberliegenden Seite des Rhonetales ist die ganze Struktur am Stück sichtbar, der Knick der großen Stirnfalte ist an der Cime de l’Est zu sehen, kleinere Falten im inneren der großen Falte sind an den südlich anschließenden Bergen wie Gagnerie und Tour Sallière zu sehen.
Von der Demècre ist an den Gipfeln der Dents de Morcles nur der untere Schenkel der Falte zu sehen, dessen Sedimentstapel auf dem Kopf liegt; der obere Schenkel ist hier wegerodiert. Im Kreide-Kalkstein des Petit Dent de Morcles ist eine der schönsten kleineren Falten.
Unter diesem Schenkel der Morcles-Decke befindet sich Flysch (die Ablagerungen von Trübeströmen aus dem Tertiär, die während dem beginnenden Aufstieg der Alpen abgelagert wurden, der obere Teil wird noch zur Morcles-Decke gezählt), im unteren Teil ist das weiche Gestein ein steiler Grashang, dem der Wanderweg folgt. Die helle Felswand darunter (Malm-Kalk) gehört zu den Sedimenten, die noch immer auf dem Grundgebirge liegen (z.B. das Portail de Fully ist Dolomit („Rauhwacke“) aus der Trias, direkt darunter das Grundgebirge).
Vom Col des Perris Blancs ist mehr von der Morcles-Falte zu sehen: nicht nur die Kreide (sozusagen die äußere Hülle), sondern auch die Jura-Kalke (sozusagen der Kern). Die Jura-Kalke des unteren Schenkels biegen am Muveran nach oben um, der obere Schenkel der Kreide ist nur an den Bergen, die hier in der zweiten Reihe stehen, noch erhalten. Die L’Argentine, der kleine Berg nördlich des Grand Muveran, ist die Stirn der Morcles-Decke: die senkrechte Nordwand dieses Berges entsprechen dem Umbiegen der äußerten Kreidekalke. An den Diablerets, noch weiter im Norden, sind noch weitere Falten zu sehen, doch dabei handelt es sich um die helvetische Diablerets-Decke, die sich über die Morcles-Decke hinweggeschoben hat. Zwischen beiden Decken (Ebene von Anzeinde) steckt noch eine weitere Decke (Ultrahelvetikum, aus einem tieferen Meeresbereich des europäischen Kontinentalrandes). Da der ganze Deckenstapel nach Nordosten abtaucht, ist in den Bergen südlich von Anzeinde auch der obere Schenkel der Morcles-Decke komplett mit Kreide-Kalken erhalten.
Am Pas de Cheville blickt man schließlich in den Talkessel von Derborance, in dem die Morcles-Decke unter die Diablerets-Decke abtaucht. Am Mont Gond gegenüber gehören die unteren Felsen zur Diablerets-Decke, die Falten am Gipfel jedoch bereits zu einer noch höheren helvetischen Decke, der Wildhorndecke.
Der gesamte Talkessel ist von den Massen zweier großer Bergstürze ausgefüllt, die sich 1714 und 1749 am Tête de Barme lösten und unter anderem den See aufstauten.