Eiger, Mönch und Jungfrau sind, so großartig sie auch sind, nur die bekanntesten Berge im Berner Oberland. In ihrer Nachbarschaft gibt es eine ganze Reihe weiterer faszinierender Gipfel, die ich alle bisher nur vom Vorbeifahren oder aus der Ferne kannte. Grund genug, einmal fünf Tage am Fuß dieses Gebietes entlangzuwandern. Als Route wähle ich etwa die Hälfte des „Bärentreks“ (mit kleinen Abweichungen), nämlich von Kandersteg über Oeschinensee, Blümlisalphütte, Sefinafurgga nach Mürren; per Bahn auf die andere Talseite zur Kleinen Scheidegg und von dort zu Fuß über den Eiger-Trek und weiter bis Grindelwald. Zusätzlich wähle ich den Panoramaweg First-Schynige Platte oberhalb von Grindelwald.
Die beste Zeit für diese schöne Route ist Juli bis September. Im August verschwinden die Berge natürlich oft am Nachmittags in Wolken, man muss eventuell mit Sommergewittern rechnen und kann die Nordwände dann auch nicht im besten Licht (Abendsonne) fotografieren. Übernachten kann man in Berghütten bzw. Hotels mit Matratzenlager. Was ich mit Bergbahnen abkürze, könnte man natürlich auch laufen, aber…
Kandersteg kennen viele von der Autoverladung am Lötschbergtunnel (leicht per Bahn zu erreichen). Von hier folgt man den Schildern zum türkisgrünen Oeschinensee, der malerisch unter den Felswänden von Blümlisalp und Doldenhorn liegt. Bis hier ist es eher ein Spaziergang, nun geht es wirklich aufwärts zur Blümlisalphütte. Dabei sollte man unbedingt von der Alm Oberbärgli einen Abstecher auf den hangparallelen Pfad nach Westen machen, die Blicke auf den See sind großartig. Am weiteren Anstieg zur Hütte kommt immer mehr von der stark vergletscherten Nordwestseite der Blümlisalp in Blick. An der Hütte angekommen hat man schon 1600 Höhenmeter geschafft, ganz ordentlich für den ersten Tag. Für einen noch besseren Blick auf den Berg kann man noch ein kleines Stück weiter aufsteigen.
Am nächsten Morgen geht es hinab ins Kiental. Fast 1000 m tiefer kann man entweder (dem Bärentrek folgend) weitere 400 m bis zur Griesalp absteigen, um von dort den nächsten Pass, die Sefinafurgga, in Angriff zu nehmen, oder man zweigt talaufwärts in Richtung Gspaltenhornhütte ab, von der ebenfalls ein Weg auf den Pass führt. Ich entscheide mich für die zweite Option, keine Ahnung, was schöner und was anstrengender ist. Ich treffe jedenfalls am unteren Rand des Gamchigletschers auf mehrere große Eistore, die das schmelzende Eis zurückgelassen hat und die von Bächen durchflossen werden. Kontinuierlich tropft Schmelzwasser von den Toren und immer wieder kullern Felsblöcke hinab. Hier kann man wirklich dem Gletscher beim Schmelzen zusehen, es wird nicht lange dauern, bis das Eis hier unten verschwunden ist. Um die kleine Schlucht im Gletscherrest zu überwinden, geht es über eine Aluleiter. Auf der anderen Seite steigt man wieder hinauf. Kurz vor der Hütte zweigt der Weg zum Pass ab, die meisten Höhenmeter sind schon geschafft. Vom Pass hat man theoretisch einen guten Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau, die aber in meinem Fall in Wolken gehüllt sind. Nun ist es nicht mehr weit zur Rotstockhütte.
Von dort geht es mal flach, mal absteigend nach Mürren, oft mit tollen Ausblicken auf die hohen Berge auf der andere Talseite, insbesondere die Jungfrau, und zurück auf die berüchtigte Nordostwand des Gspaltenhorns. Im Dorf angekommen nehme ich den Zug (der flach nach Grütschalp fährt, von wo man die Seilbahn hinab nach Lauterbrunnen nimmt). Bei guter Sicht empfiehlt sich stattdessen, zu Fuß nach Grütschalp oder Lauterbrunnen zu gehen. Dann nehme ich faul die Bahn hinauf zur Kleinen Scheidegg und stehe zum Sonnenuntergang auf dem nahen Gipfelchen des Lauberhorns. Die Nordwand des „Dreigestirns“ Eiger, Mönch und Jungfrau ist zum Greifen nah, etwas weiter all die anderen wie Wetterhorn, Gspaltenhorn und wie sie alle heißen. Unter einem das weite Tal von Grindwald und das enge U-Tal von Lauterbrunnen.
Der Bärentrek wäre von hier aus parallel zur Zahnradbahn nach Grindelwald. Ich steige stattdessen das kleine Stück zum Bahnhof Eigergletscher auf und nehme den „Eiger-Trek“, der direkt unterhalb der Eigernordwand entlangführt. Vereinzelt sind Kletterer zu sehen (ich meine nicht die am kleinen Klettersteig am Rotstock, dem Felsbuckel zu Beginn des Wegs) und ich versuche die Route der Erstbesteigung nachzuverfolgen. Wie immer sieht die Wand, wenn man direkt darunter steht, gar nicht so hoch aus, weil sie durch die Perspektive in die Breite gezerrt wird und die Höhe kaum abzuschätzen ist. Merkwürdig auch, mitten in der Felswand die Fenster des Bahnhofs Eigerwand zu entdecken. Während die meisten Wanderer nun nach Alpiglen ab- und dort in die Bahn einsteigen, folge ich den Wegweiser zur Gletscherschlucht. Mehr oder weniger hangparallel geht es bis zum engen Tal, an dessen Ende die Eiswand der Fiescherhörner aufragt. Die Gletscherschlucht selbst ist der unterste Teil des Tals, an deren Eingang hat man bereits die Talsole von Grindelwald erreicht.
Einen regnerischen Tag lang bleibe ich in Grindelwald und regeneriere meine Beine. Anschließend folgt die letzte Etappe, der aussichtsreiche Weg von First zur Schynigen Platte. Die Tageswanderung gehört nicht ohne Grund zum Pflichtprogramm der Grindelwald-Touristen, was natürlich bedeutet, dass man nicht ganz alleine ist. Schon während der Fahrt mit der Seilbahn nach First kommt das Schreckhorn von seiner schönsten Seite in Sicht, ein wunderschöner Berg, den man bisher kaum wahrgenommen hat (und direkt dahinter, quasi als Anhängsel, ein weiterer 4000er, das Lauteraarhorn). Links davon die mächtige Nordwand des Wetterhorns und auf der anderen Seite die Nordwand des Eigers, der von First aus fast interessanter aussieht als von der Kleinen Scheidegg. Während man auf dem flachen Weg zum Bachsee spaziert, kommt noch das Finsteraarhorn in Sicht, ein spitzes Dreieck und der höchste Gipfel, der auf dieser Wanderung zu sehen ist. Ein Bild vom Bachsee, in dem sich Wetterhorn, Schreckhorn und Finsteraarhorn spiegeln, hat sicher jeder Bergfreund schon einmal gesehen.
Nun geht es auf dem breiten Weg aufwärts und man erreicht das Faulhorn, von dieser Seite nichts weiter als ein Grasbuckel. Also nicht gerade eine alpinistische Herausforderung, aber eine schöne Aussicht auf ziemlich viele 4000er gleichzeitig, die man von der Terrasse des Restaurants beim Mittagessen genießen kann. Während man sich beim Weiterweg um einen Bergrücken schlängelt, verschwinden die hohen Berge zeitweise und tauchen dann aus einem anderen Winkel wieder auf. Nun ist es nicht mehr weit zur Schynigen Platte, wo man sich mit einer klassischen Ansicht von Eiger, Mönch und Jungfrau von der Bergwelt verabschieden und die Zahnradbahn hinab nach Wilderswil (bei Interlaken) nehmen kann.