Eine einzige chemische Gleichung, die Gleichgewichtsreaktion von Lösung und Ausfällung von Kalkstein, ist für eine Vielzahl faszinierender Phänomene verantwortlich, die gemeinhin als Karst bezeichnet werden: Höhlen, Dolinen, versickernde Flüsse, Karren, Polje und so weiter (s.a. mein Buch Bewegte Bergwelt: Gebirge und wie sie entstehen). Der Begriff Karst leitet sich wie auch viele andere Begriffe der Geomorphologie aus den südslawischen Sprachen ab. Der Karst der Dinariden reicht von Slowenien bis Montenegro und in dieser Region können einige spektakuläre Karstphänomene besichtigt werden.
In Slowenien sind vor allem zwei Höhlen berühmt, die trotz der hohen Eintrittspreise beide einen Besuch lohnen. In Postojna schreckt ein wenig der massenhafte Besucherandrang ab, aber die Wälder aus Tropfsteinen sind wirklich beeindruckend und lassen viele andere Tropfsteinhöhlen blass aussehen. Ein guter Teil der Strecke wird mit einem unterirdischen Zug zurückgelegt, was ein wenig das Gefühl gibt, in einem Freizeitpark durch billige Kulissen zu fahren. Aber die Tropfsteine sind echt und stehen dicht an dicht. Dann folgt ein Spaziergang durch die schönsten Hallen. Wenige Kilometer entfernt gibt es eine interessante Burg, die in das Maul einer großen Grotte gebaut wurde, hier lohnt sich zumindest ein kurzer Fotostop.
Die Höhlen von Škocjan sind fast noch faszinierender als Postojna, aber so anders, dass ein Vergleich kaum möglich ist. Der erste Teil der Tour ist noch vergleichbar mit vielen anderen Höhlen, aber dann nähert man sich dem Fluss Reka, der durch eine tiefe unterirdische Schlucht donnert. Der beleuchtete Weg, der durch diesen Abgrund führt, scheint in den Dimensionen der Höhle winzig klein und von unten wabert Nebel hinauf. Ein wirklich magischer Ort. Schließlich tritt man innerhalb einer riesigen Doline ans Tageslicht und fährt mit einem Lift wieder hinauf. Wir machen auch die zweite (neue) Tour, die von der anderen Seite durch die „unterirdische Schlucht“ zur Doline führt. Dieser Teil wirkt eher wie ein Tunnel, ist aber ebenfalls faszinierend. Keinesfalls solle man den Aussichtspunkt mit einem Blick über die riesige Doline auslassen (genauer gesagt sind es zwei Dolinen, die nur durch einen schmalen Grat mit Felstor getrennt sind, durch das der Fluss rauscht).
Wer Karstphänomene ohne Touristenmassen sehen möchte, sollte einen Spaziergang (ca. 2-3 h) über den Lehrpfad durch Rakov Škocjan machen (das nicht bei Škocjan liegt, sondern zwischen Postojna und Cernica: Ab der Autobahnausfahrt Unec ausgeschildert). Der Wanderparkplatz liegt am kleinen Felstor Mali Naravni Most. Hier kommt ein Fluss aus einer Höhle und fließt durch ein System aus Dolinen, Tunnels und Felstoren. Es lohnt sich unbedingt, den steilen Pfad abzusteigen und die Dolinen auch von unten zu erkunden, bevor man oben auf dem Lehrpfad dem Fluss folgt. Unterwegs trifft man auf weitere weniger spektakuläre Karstphänomene, bevor der Fluss durch das große Felstor Veliki Naravni Most fließt und nach einer kurzen Schlucht wieder in einer Höhle verschwindet.
Nicht weit von hier liegt Cernica in einem Polje. Als Polje werden die in der Karstregion häufigen Ebenen genannt, die rund herum von steilen Hängen umgeben sind und keinen überirdischen Abfluss haben. Das gesamte Wasser verschwindet durch Ponore im Untergrund und die Lösung des Kalksteins an den Hängen führt zu einer Vergrößerung der Ebene. Am Rand des Poljes von Cernica liegt ein saisonaler See, dessen Wasserspiegel vom Grundwasserspiegel und dem Wasser in Höhlen und Klüften abhängt.