Ab Lescun windet sich die Haute randonnée pyrénéenne (HPR) mehr als eine Woche lang durch den französischen Pyrenäen-Nationalpark. Dabei komme ich bei einigen Highlights vorbei, u. a. am Vignemale, dem Felskessel von Gavarnie und dem ikonischen Pic du Midi d’Osseau.
Von Lescun steige ich bei zunehmender Hitze Richtung Osten auf, in den Nationalpark hinein. Ich komme über einen Pass, über den im 2. Weltkrieg viele Juden nach Spanien (und meist weiter nach Amerika) geflüchtet sind. Am Abend erreiche ich Refuge d’Arlet (derzeit eine Baustelle). In der Nähe, an meinem ersten (aber nicht schönstem) See baue ich mein Zelt auf.
Bei Sonnenaufgang bin ich schon auf dem nächsten Hügel, mit Blick auf einen der schönsten Berge der Pyrenäen, dem Pic du Midi d’Osseau. Aber erst mal geht es nach Süden zum nächsten Bergrücken. In Spanien, direkt hinter der Grenze, erreiche ich den wunderschönen See Ibon de Astanés.
Mittags komme ich im Skiort Candanchu an. Der kleine Laden ist sogar offen, sodass ich noch mehr Essen in den Rucksack laden kann. Nach langer Siesta wandere ich hinauf zum Col des Moines. Hier hat man einen guten Blick auf den Pic du Midi d’Osseau, ein massiver Felsklotz, der die grüne Landschaft überragt.
Es handelt sich um einen Caldera-Vulkan aus dem Perm, auch die Berge zwischen Col des Moines und Refuge d’Anyous gehören dazu. Ist der grüne Talkessel dazwischen also die Caldera? Natürlich nicht. Alleine die Kalksteine dazwischen passen nicht. Während der jüngsten Gebirgsbildung wurden die Vulkangesteine (insbes. Andesit) in den Deckenstapel der Pyrenäen integriert und dabei in mehrere Teile zerlegt. Diese befinden sich heute mehr oder weniger entlang eines Ovals angeordnet.
Ich hatte tolle Fotos von der Umgebung des Refuge d’Ayous gesehen, von hier aus sieht der Pic du Midi d’Osseau am interessantesten aus. Da dies nur ein kurzer Abstecher ist, steuere ich die am Lac Gentau gelegene Hütte als Biwakplatz an. Schon am Nachbarsee steht an jeder Ecke ein Zelt, und am See neben der Hütte geht es wie auf einem Campingplatz zu: Etwa 150 Zelte, viele Menschen planschen im Wasser, spielen Schwedenschach oder machen ein Lagerfeuer, zwei Drohnen surren in der Luft. Naja, was habe ich den erwartet, an einem Postkartensee am Samstagabend? Ich steige auf den Pass hinter der Hütte auf, blicke über den See auf den schönen Berg und habe dort doch noch meine Ruhe.
Mitten in der Nacht breiten sich im Mondschein Kühe laut bimmelnd zwischen den Zelten aus. Zwei Stiere kämpfen immer wieder miteinander, wenn sie gerade nicht eine Kuh besteigen. Beides geht mit Gerenne einher, wie gesagt zwischen den Zelt. Irgendwann wird es mir zu viel, ich stehe auf und treibe die Viecher auf die leere Wiese nebenan. Natürlich dauert es nicht lange, bis sie wieder da sind und ich erneut aufstehen muss … Dieser See wird mir wirklich in ambivalenter Erinnerung bleiben.
Am Morgen bin ich so müde, dass ich erst den Wecker überhöre und dann nur im Schneckentempo vorankomme. Jedenfalls bin ich froh, sobald ich zurück auf der Route des HRP bin, dass ich den Zirkus hinter mir gelassen habe. Es geht durch den Talkessel und dann über den Pass direkt neben dem Pic du Midi d’Osseau, der wirklich von jeder Seite gut aussieht. Von hier ist auch das nächste Bergmassiv gut zu sehen, allerdings auch das tiefe Tal, in das ich vorher noch absteigen muss.
Am Refuge de Pombie bin ich erst mittags, keine Zeit für eine lange Siesta. Zum Glück ist es unten im Tal waldig. Der folgende Aufstieg durch das Hochtal zieht sich endlos und es ist viel zu heiß. Ich frage mich, wie lange das Wetter noch hält, bisher habe ich auf dem Trek kaum ein Wölkchen gesehen. Vielleicht sollte ich in die Fotos ein paar Wolken malen, damit der Himmel nicht immer so langweilig blau ist? Ein anderer Wanderer meint, dass die nächsten Tage noch heißer werden sollen.
An einem Pass angekommen wird es sofort wieder interessant. Innerhalb weniger Minuten komme ich an einen See, Lac d’Arrious, daneben ein Berg, der aussieht wie der Zuckerhut in klein. Auf der Passage d’Orteig habe ich 5 Minuten Klettersteig-Feeling, wenig später kommt das winzige Refuge d’Arremoulit in Sicht. Es liegt wunderschön an einem See zwischen schroffen Granitbergen.
Hier muss man sich entscheiden, wie man zum Refuge Wallon kommt: die südliche, kürzere und schnellere Variante (1 Tag) über den Stausee Embalse de Respomuso? Oder die alpinere nördliche Variante (1,5 Tage) via Refuge de Larribet? Ich entscheide mich für die nördliche, mache aber trotzdem noch einen Spaziergang auf den Pass, über den die andere Variante führt, allein wegen der Aussicht auf zwei Seen und den 3000er Pic Balaitous. Dann genieße ich erst einmal den Abend am See, mein Zelt steht direkt oberhalb auf einem Granitbuckel.
Am Morgen folge ich den Steinmännchen zum ersten Pass, Col du Palas. Zum nächsten Pass, der Port du Lavédan, ist es nicht weit, eigentlich nur den Steilhang queren … Die Markierungen hören an einem Geröllfeld auf und man muss selbst überlegen, wie es weiter geht und wo in dem kleinen Felsriegel die Schwachstelle ist. Mir macht das Spaß, zumal der Blick auf die Seen tief unter mir grandios ist.
Mit leichter Kraxelei überwinde ich die Scharte, dann geht es an ein paar Seen vorbei zum Refuge de Larribet, und weiter das hübsche Hochtal hinab.
Natürlich muss ich das nächste Tal wieder hinauf. Irgendwann will ich einen Blick auf den Höhenmesser werfen, aber die Uhr ist nicht am Arm. Bei der letzten Pause hatte ich sie ausgezogen, um Sonnencreme nachzuschmieren. Das war ungefähr vor einer Stunde … Also werfe ich den Rucksack hinter einen Steinblock und spurte wieder hinab. Mit Erfolg, aber nach dieser Aktion wird mein Zeitplan ziemlich knapp, schließlich wollte ich heute noch über den nächsten Pass. Die letzten paar Hundert Höhenmeter zum Col de Cambalès mache ich im Abendlicht. Beim Abstieg zu den Seen auf der anderen Seite leuchten die Berge rot auf. Ich steure einen See mit auffälliger Herzform an und finde einen schönen Biwakplatz. Essen in der Dämmerung, zum Zähneputzen brauche ich schon die Stirnlampe.
Der Abstieg zum (wegen Komplettumbau geschlossenen) Refuge Wallon geht schnell. Eine hübsche Gegend mit ein paar Kiefern auf den Wiesen. Mittags bin ich am nächsten See, es ist sehr windig und immer wolkiger. Noch zwei Pässe (zwischen denen man den Hang quert), dann hinab zum Biwakplatz am Refuge des Oulettes de Gaube. Ein wirklich beeindruckender Ort direkt unter der Nordwand des Vignemale.
Mit der Nachricht, dass es spät abends ein heftiges Gewitter mit Hagel geben soll, verbreiten die Hüttenwirte leichte Panik am Biwakplatz. Bis auf entfernten Donner passiert aber nichts. Am nächsten Tag bin ich relativ faul, ich breche spät auf und steige nur bis zum Refuge de Bayssellance auf, und gehe nach langer Pause das kleine Stück bis zum Einstieg zum Vignemale. An einer leicht ausgesetzten Passage steht ein älterer Herr, der auf den ersten Blick wie ein normaler Wanderer aussieht, mit Isomatte am Rucksack. Nur hat er keine Wanderstöcke, sondern Krücken! Auf meine Frage, was er vorhat, antwortet er, dass er zum Gletscher wolle und überlege, ob er nicht besser umdrehen solle. Ich bestärke ihn in diesem Gedanken, aber von Weitem, von meinem Biwakplatz aus, sehe ich ihn noch ziemlich lang herumstehen. Der Felsen über mir sieht ziemlich gut aus, heller Marmor, von zahlreichen dunklen Gängen durchschlagen.
Nachts kommt ein heftiger Wind auf, der mein Zelt zusammendrückt und die Heringe aus dem Boden rupft. Ich muss aufstehen und alles stabiler mithilfe von Steinen und Wanderstöcken umbauen. Ich breche in der Dämmerung mit leichtem Gepäck auf, über Marmor-Rundhöcker aufwärts. Kurz nach Sonnenaufgang erreiche ich den flach in einer weiten Schüssel liegenden Gletscher. Ich passiere eine Scharte mit Tiefblick in die Nordwand, dann folgt leichte Kletterei bis zum Gipfel. Punkt 9 Uhr bin ich wieder unten an meinem Biwakplatz und baue mein Zelt ab.
Es folgt ein langer Abstieg in das Tal, das nach Gavarnie führt. Kurz vor dem Ort biege ich aber von der HRP-Route ab und steige (z.T. über Skipisten) in den Sattel zwischen Pic des Tentes und Pic de la Pahule auf. Letzterer ist einer der besten Aussichtspunkte rund um den Cirque de Gavarnie, was aber offensichtlich ein Geheimtipp ist, ich treffe hier nämlich niemanden. Aber zunächst gewittert es in den Bergen gegenüber, während ich in der Sonne mein Zelt aufbaue und esse. Zum Glück reißt es zum Sonnenuntergang etwas auf. Ich blicke auf eine lange Felswand mit zahlreichen Gipfeln. In diese ist der eigentliche Felskessel eingegraben, in dem die Grande Cascade zu sehen ist, einer der höchsten Wasserfälle Europas. Ganz links im Panorama der Pass, über den der HRP weiter führt. Und der Berg ganz rechts, Pic du Taillon, ist mein Ziel für den nächsten Tag. Etwas links davon fällt eine markante Scharte auf, die Brèche de Roland.
Der Deckenbau der Pyrenäen ist hier gut zu sehen (siehe auch mein Buch Bewegte Bergwelt). Die Kalksteine aus der Kreide und dem Eozän, welche die Berge aufbauen, wurden in südliche Richtung geschoben. Darunter ist eine tiefere Decke mit paläozoischen Sedimenten zu sehen. Der Talboden in Gavarnie ist eine noch tiefere Einheit mit Migmatit.
Mit minimalen Höhenmetern erreiche ich über Col des Tentes, Puerto de Burauelo und Col des Sarradets das Refuge des Sarradets. Ich verstecke den großen Rucksack und steige zur Brèche de Roland auf. Auf der spanischen Seite quere ich unterhalb der Felswand bis zu einer Felssäule namens Le Doigt, dann führt der Weg hinauf auf den Pic du Taillon.
Zurück am Refuge des Sarradets nehme ich den steilen Pfad (L’Échelle des Sarradets), der direkt in den Cirque de Gavarnie hinab führt, ständig mit großartigem Blick auf den Wasserfall. Wobei es immer wolkiger wird.
In Gavarnie kaufe ich nur kurz ein, esse eine Pizza und steige dann noch 2 Stunden im Nebel zum Refuge des Espugettes auf. Dort bin ich gerade über den Wolken, wenn nicht gerade ein Fetzen hinauf schwappt. Ich komme gerade rechtzeitig, um den Schlusstakt eines dramatischen Sonnenuntergangs zu erleben, mit roten Strahlen hinter dem Vignemale.
Morgens nehme ich den Aussichtsgipfel Piméné mit, um den Felskessel von der anderen Seite zu sehen.
Über die Hourquette d’Alans geht in den benachbarten Felskessel, Cirque d’Estaubé. Ein Stück talabwärts biege ich ins nächste Tal ein und wandere auf den Cirque de Troumouse zu. Schon von Weitem frage ich mich, wo ich am nächsten Tag durch diesen Felsriegel aufsteigen soll.
Der Cirque de Troumouse ist ganz anders als die anderen Felskessel, man fühlt sich nicht eingeschlossen, sondern hat im inneren ein Gefühl von Weite. Die Felswände (überwiegend Kalkstein und Schiefer aus dem Devon) umgeben in einem Halbkreis mit 2 km Durchmesser ein hügeliges Plateau (Migmatit).
Ich biwakiere an einem ausgetrockneten See mitten im Cirque. Der Aufstieg zum Col de la Sède ist viel weiter links, als ich erwartet hatte, wirklich am Rand des Felsriegels. Lange genieße ich von oben den Blick in den Cirque, bevor ich zum nächsten Pass wandere. Von dort sehe ich tief unter mir mein heutiges Ziel, die Lacs de Barroude. Um ans untere Ende der Felswand zu kommen, muss ich allerdings einmal um den benachbarten Berg herum, über zwei weitere Pässe. Am See angekommen hätte ich eigentlich genug Zeit, um noch bis Parzán abzusteigen. Aber wieso sollte ich ins Tal, wenn ich noch eine Nacht an einem schönen Ort bleiben kann?
Am nächsten Morgen steige ich dann ins hübsche Barrosa-Tal ab. Hier ist deutlich eine der Überschiebungen der Pyrenäen zu sehen: Der obere Teil der Felswände besteht aus Schiefer und Kalkstein aus dem Devon (stellenweise darunter Schwarzschiefer, Silur), der untere Teil aus Granit, stellenweise noch mit Sandstein (Perm/Trias) direkt unter der Verwerfung.
Dann noch ein nerviger Marsch auf einer stark befahrenen Straße bis zum Supermarkt von Parzán. Hier kaufe ich nicht nur Essen für eine Woche, sondern auch Sekundenkleber. Damit will ich den rapiden Verschleiß meiner Schuhe bremsen. (Weiter mit HRP Teil 3.)