Swanetien ist eine wilde, abgelegene Bergregion im Kaukasus. Phantastische mittelalterliche Bergdörfer ducken sich unter weißen Bergen mit Gipfeln zwischen vier- und fünftausend Metern. Zu fast jedem Haus gehört ein wehrhafter Turm, ein Anblick, bei dem fast die Erinnerung an San Gimignano verblasst. Diese Region hat immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt, egal wer den Rest von Georgien beherrschte. Noch vor wenigen Jahren waren Entführungen hier so eine Art Volksport, aber nun gilt sie als sicher und die Touristen sind zurück.
Allein schon hier herzukommen war ein Abenteuer für sich. Erstmal der Nachtzug nach Zugdidi. In diesem war es so heiß, dass, selbst wenn ich ruhig da lag, der Schweiß nur so aus meinen Poren floss. Entsprechend gut habe ich geschlafen. Dann 5 Stunden im Minibus auf der kurvigen, Schlagloch-übersäten Straße nach Mestia. Unterwegs hielt der Fahrer für ein Frühstück, er gab eine Runde Khajapuri aus und stellte dazu eine 2 l Flasche Bier auf dem Tisch. Ich versuchte mich wie alle anderen zu wehren, aber bei mir als Deutschem half alles Argumentieren nicht, also trank ich zwei Gläser mit. Besser, als wenn der Fahrer meinen Teil trinkt, dachte ich, aber er kam bald darauf mit der zweiten 2 l Flasche an… Ziemlich rasant kurvten wir darauf hin weiter. Ich war nicht nur angetrunken, sondern hundemüde. Ständig nickte ich ein, bis mich das nächste Schlagloch auffahren ließ und mein Blick in die Schlucht tief unter uns fiel. Ich war verdammt froh, als wir ankamen.
Das abgelegene Ushguli ist das malerischste und bekannteste der Bergdörfer Swanetiens. Ich wählte ein Mountainbike, um hier herzukommen, mit dem ich durch abwechslungsreiche Landschaft und hin und wieder durch weitere hübsche Dörfer fahre. Die Straße ist schlecht genug, um niemals langweilig zu werden, der Regen der letzten Tage hat sie stellenweise zu einem Schlammpfuhl aufgeweicht.
In Ushguli drängen sich die Türme dicht an dicht vor der Kulisse der höchsten Berge Georgiens. Abends sind die aufgeweichten, matschigen Gassen voller Kühe, die zum Melken anstehen. Ich balanciere von Stein zu Stein und komme an einigen Männern vorbei, die im Kreis stehen und abwechselnd Wein trinken und mehrstimmig singen. Ehe ich mich versehe, stehe auch ich mit einem Glas in der Hand im Kreis und höre zu.
Eine Überraschung wartete auf dem Rückweg an einem der zu durchquerenden Flüsse. Das Wasser war nicht höher als auf dem Weg hinauf, aber die Fahrspur war verschwunden, der Fluss hatte Wälle aus Schiefermassen aufgeschüttet und neue Gräben gegraben. Es sah aus als sei hier noch nie ein Fahrzeug vorbeigekommen. Der Fluss war schnell durchquert, nur dummerweise war die Straße von hier abwärts eine einzige Katastrophe: durch den schweren Regen der vergangenen Nacht hat sich ein Schlammstrom gebildet, hundert Meter weit knietiefer Matsch. Ich musste mein Rad auf die Schulter nehmen und mich die Böschung hinauf kämpfen, um vorbeizukommen. Auf der anderen Seite standen zwei Autos und ein paar ratlose Touristen, da nützt auch kein Jeep mehr…
Von Mestia wandere ich zu einem lohnenden „kleinen“ Aussichtsberg, immerhin 1900 Höhenmeter. Die meisten Touristen kehren bei ein paar kleinen Tümpeln um, ich wühle mich von hier den Schieferschutt aufwärts zum Coruldirücken. Das letzte Stück ist richtig unangenehm, „Schubladenklettern“ im steilen Schiefer, jeder Griff kommt mir entgegen und jeder Tritt rutscht unter mir weg. Aber die Mühe lohnt sich, kaum in der Nähe des Gipfelkreuzes breitet sich ein herrliches Panorama vor mir aus. Direkt vor mir Uschba, der unerreichbarste Gipfel des Kaukasus, unter mir Gletscherströme von allen Seiten, rechts ein 4000er neben dem anderen.
Gute Wegbeschreibungen gibt es bei svanetitrekking.ge.
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- Reisebericht Naher Osten und Kaukasus 2008
- Ushguli-Mestia-Trek (2015)
- Kazbegi
- Bewegte Bergwelt: Gebirge und wie sie entstehen
- Geologie des Kaukasus
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2