Der Wanderweg GR 131 auf La Palma kombiniert die Ruta de los Volcanes mit der Ruta de la Cresteria zu einer viertägigen Wanderung: Eine Inseldurchquerung, die nicht nur landschaftlich spektakulär, sondern auch geologisch spannend ist (s.a. Bewegte Bergwelt). Der erste Teil führt zu den Vulkankratern im Süden der Insel, der zweite folgt dem Rand der Caldera de Taburiente. Wer die ganze Strecke am Stück laufen möchte, muss allerdings einen warmen Schlafsack mitbringen und sich auf einen schweren Rucksack einstellen, da es an der Ruta de la Cresteria weder Wasser, Einkaufsmöglichkeiten noch eine Unterkunft gibt. Da Zelten verboten ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als unter freiem Himmel zu schlafen. Anschließend lohnt sich noch ein Tagesausflug in das Innere der Caldera de Taburiente.
Ruta de los Volcanes
Die Ruta de los Volcanes führt über den mit Kratern übersäten Grat der Cumbre Vieja, vom an der Südspitze der Insel gelegenen Leuchtturm von Fuencaliente hinauf zum 1945 m hohen Volcan de la Deseada und weiter zum Refugio del Pilar im Zentrum der Insel (wer nicht anschließend die Ruta de la Cresteria laufen will, macht dies am besten in die entgegengesetzte Richtung, also abwärts).
Die Cumbre Vieja ist die aktive Riftzone eines Schildvulkanes. Das bedeutet, dass durch Dehnung Spalten aufreißen, an denen Magma aufsteigen kann. Im Gegensatz zu einem „normalen“ tektonischen Graben (engl. Rift), bei dem Dehnung dazu führt, dass eine Krustenscholle absinkt, entwickelt sich das Rift eines Vulkans durch die angehäuften Vulkangesteine zu einem schmalen Grat. Die Krater, die alle erdenklichen Formen haben, sind entlang der Spalten aneinandergereiht wie Perlen auf einer Kette.
Manche der Vulkane sehen aus bestimmten Blickwinkeln wie klassische Vulkankegel aus, was eher Zufall ist, da der Krater nicht an der Spitze des Kegels, sondern neben dem Kegel liegt, während es sich bei dem Hügel um einen Haufen ausgeworfener Schlacken handelt. Diese waren zum Teil beim Aufschlag noch so heiß, dass sie zu einem festen Gestein verschweißt wurden. An anderen Stellen floss die Masse als Lavastrom ab. Genau genommen sind diese Mini-Vulkane also unzählige Schlackenkegel des Cumbre Vieja-Vulkans, der bei jedem Ausbruch ein neues Eruptionszentrum bildet.
Wolken, Nebel, Regen, leider habe ich nicht so gutes Wetter, der Himmel ist farblich auf das Weiß der Salinen neben dem Leuchtturm abgestimmt. Ausgerechnet am jüngsten Schlackenkegel, dem 1971 aktiven Teneguía kauere ich mich in eine viel zu kleine Felsnische, um einen heftigen Regenschauer abzuwarten. Trotzdem laufe ich bis zur Fuente de los Roques, wo ich an einem überdachten Grillplatz eine trockene Ecke finde.
Am nächsten Morgen ist es etwas besser, aber während ich auf dem Volcán Martin sitze (aktiv 1646), ziehen sich die Wolken schon wieder zusammen und Mittags auf dem höchsten Punkt, dem Volcán de la Deseada, sitze ich in dichtem Nebel und stelle mir anhand der Infotafel vor, wie schön es wäre, auf beiden Seiten das blaue Meer zu sehen und am Horizont Teneriffa, La Gomera und El Hierro. Ich mache eine lange strategische Pause und lese einige Kapitel in einem Roman. Am späten Nachmittags reißen die Wolken dann tatsächlich immer mal wieder auf und ich bleibe häufig stehen, um einen passenden Moment für ein Foto zu erwischen. Einige der Krater in diesem Abschnitt entstanden 1949: aus dem langgestreckten Kratersystem Duraznero floss ein Lavastrom aus und am Hoyo Negro kam es durch Interaktion mit Grundwasser zu heftigen Wasserdampfexplosionen, die einen besonders großen Krater hinterließen und ganze Hügel aus fein fragmentierter Asche ablagerten.
In der Nähe befindet sich Nambroque, bei dem es sich untypischerweise um eine Phonolith-Staukuppe (Dom) handelt, die vor etwas mehr als 1000 Jahren aktiv war. Inzwischen ist es früher Abend und die Wolken haben sich etwas abgesenkt, sodass ich in der Sonne bin und sogar meine Fleecejacke ausziehe. Nachdem ich mich an Kratern satt gesehen habe, tauche ich durch die Wolkendecke hinab zum Refugio del Pilar (um hier zu campen, muss man vorher eine Genehmigung einholen).
Ruta de la Cresteria
Bei Sonnenaufgang sitze ich auf dem benachbarten Vulkan Birigoyo, dem nördlichsten Schlackenkegel der Cumbre Vieja, und habe einen fast wolkenfreien Blick nach Norden, auf den schmalen, niedrigen Grat Cumbre Nueva, links davon das weite Becken mit dem Ort Los Llanos, dahinter der Vulkan Bejenado und dahinter die von hohen Felswänden umrandete Caldera Taburiente, über deren Rand die Fortsetzung des GR 131, die Ruta de la Cresteria führt. Wie die spektakuläre Caldera de Taburiente entstanden ist, ist von hier aus am besten zu erklären. Dabei handelt es sich zugleich um ein unterhaltsames Kapitel der Geologiegeschichte.
Das spanische Wort Caldera bedeutet Kessel. In der Geologie ist damit normalerweise eine große kraterförmige Einsturzstruktur gemeint, die entstand, nachdem eine große Magmakammer bei einer Vulkaneruption entleert wurde und das „Dach“ der Magmakammer ins Innere stürzte. Schöne Beispiele sind Crater Lake (USA), Atitlansee (Guatemala), Quilotoa (Ecuador), die Somma-Caldera des Vesuv (Italien) und Santorin (Griechenland). Der Einsturzkessel hat typischerweise einen Durchmesser von einigen Kilometern, kann aber im Extremfall auch mehr als hundert Kilometer erreichen, wie der Toba-See auf Sumatra eindrucksvoll zeigt (wobei es sich um das Ergebnis wiederholter Ausbrüche handelt).
Namensgebend für den Begriff war die Caldera de Taburiente — obwohl es sich dabei um keine Caldera handelt. Der deutsche Geologe Leopold von Buch führte den Begriff 1825 ein, nachdem er die Kanaren besucht hatte. Das war zu einer Zeit, als der Streit zwischen Plutonisten und Neptunisten langsam beigelegt wurde, also zwischen jenen, die an Magmatismus glaubten und jenen, die auch Basalte und Granite für Ablagerungen eines Meeres hielten. Als Schüler des in Freiberg lehrenden Abraham Gottlob Werner, einem erklärten Neptunisten, war von Buch ebenfalls lange ein Neptunist, bis er die Vulkane in Italien, in der Auvergne und schießlich die Kanaren besucht hatte und seine Meinung änderte. Von Buch nannte die Caldera de Taburiente einen „Erhebungskrater“ und stellte sich die Entstehung so vor, dass Magma und Gase von unten aufstiegen und den Vulkan von innen her aufdrückten — also so ähnlich, wie es tatsächlich bei einer Caldera passiert (naja, nicht ganz). Der schottische Geologe Charles Lyell zweifelte daran, für ihn war der Kessel schlichtweg durch Erosion entstanden, er stellte 1855 den Begriff „Erosionscaldera“ dagegen. Zumindest im Fall der Caldera de Taburiente hatte Lyell recht.
Tatsächlich hat Erosion der Caldera de Taburiente maßgeblich ihre Form gegeben, allerdings war die Form durch einen gewaltigen Bergsturz, einem sogenannten Flankenkollaps, schon vorgegeben. Dass Vulkane fragile Gebilde sind, wissen wir seit dem Ausbruch des Mount St. Helens (USA) von 1980, bei dem ein guter Teil des Kegels abrutschte und einen „Krater“ mit hufeisenförmigem Rand hinterließ. Etwas Ähnliches passierte vor etwa 560000 Jahren mit La Palma, die Spitze des Vulkans rutschte nach Westen hin ins Meer ab und hinterließ das Becken von Los Llanos (Cumbre Nueva und der Nordrand der Caldera de Taburiente sind das Hufeisen dieses Flankenkollapses). Übrigens ist es durchaus möglich, dass sich ein derartiger Bergsturz an der Cumbre Vieja wiederholt, deren Westflanke ebenfalls relativ instabil ist. Das könnte auch einen Tsunami auslösen, der die Atlantikküste Amerikas bedroht, allerdings ist es unwahrscheinlich dass dieses Szenario in absehbarer Zeit eintrifft.
Schließlich wuchs im Inneren des Hufeisens ein neuer Vulkan, der Bejenado. Zwischen diesem und dem nördlichen Rand des Hufeisens blieb nur ein schmales Tal, in dem verstärkte Erosion einsetzte, gleichzeitig versetzte rückschreitende Erosion die Felskante nach hinten: Die „Erosionscaldera“ Taburiente entstand. Die Felsen des Talkessels wirken wie eine Falle für Wolken, was das ganze noch verstärkt.
Um den Talkessel zu erreichen, muss ich also nur noch den Grat der Cumbre Nueva entlangwandern, erst flach und dann immer steiler ansteigend, wobei sich die sechs Liter Wasser im Rucksack bemerkbar machen (das Schild „kein Trinkwasser“ am Refugio del Pilar habe ich zwangsläufig ignoriert). Bei der Punta de los Roques erreiche ich die Caldera de Taburiente, die leider wieder bis zum Rand mit Wolken gefüllt ist. Zum Glück schwappen die Wolken langsam hoch und runter, sodass ich beim Weitergehen doch noch Einblicke in den Hexenkessel bekomme, auf in Wolken gehüllte Felstürme, die mich an die Landschaften der chinesischen Malerei erinnern.
Auf einem der Gipfel am Calderarand, dem Pico de la Sabina, sind Petroglyphen zu sehen, die die Guanchen in den Fels graviert haben — hinter einem massiven Stahlzaun, weil ein paar Idioten unbedingt ihre Namen daneben ritzen mussten. Die Guanchen waren das Hirtenvölkchen, das vor den Spaniern da war und im 15. Jahrhundert den eindringenden Welteroberern erstaunlichen Widerstand entgegensetzte.
Nach einer Nacht auf der Punta de la Cruz passiere ich die weißen Kuppeln des Observatoriums und erreiche den höchsten Punkt der Insel, Roque de los Muchachos. Von hier beginnt der lange Abstieg, mehr als 2000 Höhenmeter, immer am Grat entlang, wovon ich allerdings nicht viel mitbekomme, da ich bald im Nebel verschwinde. Unter den Wolken angekommen, habe ich nur noch Siedlungen und in Folie verpackte Bananenplantagen im Blick. Zuletzt geht es durch Weinberge, vorbei an Kakteen, Fincas, Obstgärten, Schrott, Betonmischern, Plantagen, bis ich über einen netten Steinpfad, der sich den Steilhang zur Küste hinunterwindet, Puerto Tazacorte erreiche, wo in einem Restaurant ein Bier auf mich wartet.
Los Brecitos und Barranco de las Angustias
Am nächsten Tag lockert die Bewölkung auf und da ich noch nicht genug von der Caldera habe, beschließe ich auch einen Blick in das Innere zu werfen, ein weiteres geologisches Schmankerl. Dazu nehme ich ein Taxi zum Aussichtspunkt Los Brecitos, knapp unterhalb der Felswand, um von dort durch den steilen Kiefernwald ins Zentrum des Kessels zum Camp Casas de Taburiente und anschließend durch die Schlucht Barranco de las Angustias wieder hinaus zu wandern.
Dabei geht es durch das Innere eines über den Meeresspiegel angehobenen (und dabei verkippten) Tiefseeberges, die Gesteine sind also älter als die Insel La Palma. Alles unterhalb der markanten Felswand der Caldera sind submarine magmatische Gesteine (abgesehen von den aus den Felswänden heruntergestürzten Massen, deren Bruchstücke aus den über dem Meeresspiegel eruptierten Vulkaniten bestehen, und dann gibt es auch noch Sedimente eines Sees, den der Vulkan Bejenado zeitweise aufgestaut hatte …). Auf dem Weg zum Camp sind hyaloklastische Brekzien zu sehen, die bei Eruptionen des Tiefseeberg-Vulkans entstanden, als dieser schon bis knapp unter den Meeresspiegel angewachsen war und der Wasserdruck nicht mehr gegen den Gasdruck wirkte. Im Tal angekommen befinden wir uns wirklich im Inneren des Tiefseeberges, die Schlucht schneitet sich in steckengebliebene Plutone ein (der Abstecher zur „Cascada Colores“ ist allerdings enttäuschend, es handelt sich schlicht um eine Rost- und sinterverkustete Staumauer).
Etwas weiter unten im Barranco de las Angustias geht es an hunderten verkippten Sills und Gängen vorbei, die in das Vulkangebäude intrudierten. Schließlich sind, während wir aus dem Inneren des Tiefseeberges sozusagen an seine Außenhaut kommen, wunderschöne Kissenlaven zu sehen (schwach metamorph und daher grün).
Literatur
- Day, Carracedo, Guillou, Gravestock (1999). Recent structural evolution of the Cumbre Vieja volcano, La Palma, Canary Islands: volcanic rift zone reconfiguration as a precursor to volcano flank instability? Journal of Volcanology and Geothermal Research 94, 135–167.
- Carracedo, Day, Guillou, Gravestock (1999). Later stages of volcanic evolution of La Palma, Canary Islands: Rift evolution, giant landslides, and the genesis of the Caldera de Taburiente. GSA Bulletin 111, 755-768.