Der Chimborazo muss irgendwo dort in den Wolken stecken, über den grünen, geschwungenen Hügeln. Ich wandere mit einer Beschreibung aus „Trekking in the Central Andes“ (Lonely Planet) in der Tasche von der Panamericana los, an vereinzelten Höfen vorbei aufwärts. Nach etwa einer halben Stunde kommt ein Hund an, schnüffelt und läuft mir dann hinterher, unbeeindruckt, dass ich ihn wegschicken will. Es geht an einigen Weiden vorbei, auf denen schwarze Bullen stehen, der Hund kläfft wie ein Idiot einen Esel an und läuft dann doch weiter mit. Weiter oben geht es durch Büschel aus Puya-Gras, wenn der Hund durch diese einem Vogel hinterher hüpft, steigen kleine Staubwölkchen auf: das Gras ist voll mit Asche des aktiven Tungurahua. Abends, während ich mein Zelt neben einem winzigen See aufbaue, ziehen sich die Wolken zurück und über mir ragt der Chimborazo auf, den man lange für den höchsten Berg der Welt gehalten hatte (s.a. Bewegte Bergwelt). Aus dieser Perspektive, ganz nah an der riesigen Eiskuppel, sieht er merkwürdig in die Breite gezogen aus. Ich male mir aus, wie Alexander von Humboldt mit seinem Begleiter Aimé Bonpland dort oben herumstapften. Gegenüber der Nachbarvulkan Carihuairazo, von Gletschern zu einem felsigen Doppelgipfel zerlegt und in der anderen Richtung taucht auch die Felswand des El Altar auf, einst ein weiter riesiger Vulkan, von dem seit einem Flankenkollaps nur ein spektakulärer Grat übrig ist.
Am nächsten Morgen sitze ich im dichten Nebel, immerhin hört der Schneeregen bald auf. Der Hund liegt aufgerollt neben dem Zelt, obwohl ich am Abend ernsthaft versucht hatte, ihn zu vertreiben. Den ganzen Tag wandern wir durch dichte Suppe, meist durch weite Sümpfe oder Steilhänge hinauf, was mich sehr an Skandinavien erinnert…. Nur die kissenförmigen Pflanzen passen nicht dazu. Vom Pass zwischen Chimborazo und Carihuairazo steige ich einen Grat ein Stück den letzteren hinauf und versuche dann bei 20 m Sichtweite mit Kompass, Höhenmesser und Verstand einen kleinen See nach der vagen Beschreibung „30 Minuten weglos nach Osten“ zu finden. Natürlich zeigt die Kompassnadel mal ins Tal und mal zum Gipfel, irgendwann finde ich einen perfekten (flach und trocken) Platz am Ausfluss eines kleinen Tümpels und baue mein Zelt auf.
Am nächsten Morgen ist mein Zelt mit einer Eisschicht bedeckt. Der Hund lag wieder neben dem Zelt, leicht zitternd, aber kaum kam ich heraus, sprang das Mistvieh auf und rannte einem Vicuña hinterher, das gerade noch neugierig zu uns herüber geschaut hatte. Etwas später lichtet sich der Nebel und gegenüber ragt der Eisdom des Chimborazo auf, ein grandioser Anblick. Den See finde ich jetzt auch, hinter einer kleinen Moräne etwas oberhalb. Nach einer Stunde zieht es schon wieder zu und im Nebel suche ich mit weiteren vagen Beschreibungen einen Weg nach unten. Der Hund ist nicht mehr so mutig und tappt fast immer bei Fuß neben mir her. Endlich sind wir wieder unterhalb der Wolken auf einem richtigen Weg und marschieren zurück zur Panamericana. Kurz vorher kreuze ich die alte Kopfsteinpflasterstraße, auf der ich den Hund zum ersten Mal getroffen hatte und diesmal bleibt er auf meine Gesten sitzen und schaut mir traurig hinterher. Vielleicht wartet er dort jetzt auf den nächsten Wanderer.