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Ramadan für Reisende: Syrien

Zum Glück muss ich auch während Ramadan nicht hungern. Zwar haben viele Restaurants tagsüber geschlossen, aber es gibt immer auch einige, die sich das Geschäft nicht entgehen lassen. Im christlichen Viertel gibt es sogar Bier. Trotzdem ist es schade, dass man sich nicht wie sonst für ein Stündchen in ein Teehaus setzen kann, um auszuruhen und dem Treiben zuzuschauen. Selbst bei einem Schluck aus meiner Wasserflasche ziehe ich neidische Blicke auf mich, auch wenn es viele Muslime nicht ganz so ernst nehmen und selber trinken.

Während Ramadan läuft alles etwas ruhiger ab, viele verschlafen den halben Tag oder versuchen, sich möglichst wenig zu bewegen. Abends ist dann der Ruf zum Gebet eher der Ruf zum Essen. Mit einem Schlag sind alle Restaurants gepackt voll, auf vielen Tischen türmen sich bereits Platten mit Fleisch und Teller mit Mezze wie Hummus, Tabouleh und Baba Ghannouj und alle warten nur noch auf den befreienden Ruf des Muezzins. Ein anderes Mal stehe ich an einem Stand mit frischem Maulbeersaft. Schon beim ersten Knacksen des Lautsprechers stürzt sich ein Mann, der seit einiger Zeit auf der Bordsteinkante saß, auf den Stand für den Saft, auf den er so lange gewartet hat. Geht man dann später durch die Gassen, so schaut man in die zufriedenen Gesichter satter Araber, die Welt ist wieder in Ordnung.

Etwas unpraktisch für Reisende ist, dass während Ramadan die Öffnungszeiten von Museen unvorhersehbar gekürzt sein können. Und auch Busse können ausfallen, z.B. dreimal am Tag statt alle 2 Stunden…


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Palmyra

Antike Ruinen in der syrischen Wüste

Palmyra
Palmyra

Meinen ersten Rundgang durch die Ruinen von Palmyra mache ich nachts im Schein von vier Taschenlampen. In der Cella eines Tempels philosophieren wir über die Ästhetik der antiken Architektur, die in so einem krassen Gegensatz zu dem hässlichen Beton der modernen Stadt nebenan steht. So weit hat uns unsere Technologie gebracht… Am nächsten Tag wandere ich kreuz und quer durch die Kolonnaden, Bögen und Tempel, die harmonisch am Rand einer Oase inmitten der Wüste liegen.

Palmyra
Palmyra
Palmyra
Palmyra

Palmyra ist anders als jede andere römische Stadt. Die Lage in der Grenzregion zwischen Rom und Persien kam der Stadt zugute, auch unter römischer Herrschaft konnte sie eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Das Ergebnis war eine wundervolle Mischung aus Orient und Rom. Lokale Götter wurden neben den römischen verehrt und der Baaltempel sieht aus wie ein Crossover aus Forum Romanum und Persepolis. Wie an den Statuen zu sehen ist, muss auch die Mode einem Römer sehr exotisch vorgekommen sein. Viele der Statuen stammen aus der Nekropolis. In den mehrstöckigen Türmen hatten um die 300 Leichen Platz. Die Nischen wurden mit einem Porträt des Verstorbenen verschlossen.

Palmyra
Palmyra
Palmyra
Palmyra

Die Stadt wurde reich durch den Handel zwischen Mittelmeer und China und Indien. Es ist beeindruckend, wie globalisiert die Welt damals schon war: Es wurden riesige Granitsäulen verbaut, die aus dem Steinbruch in Assuan (Ägypten) stammen, Marmorstatuen wurden aus Griechenland importiert und in den Gräbern haben Archäologen zweitausend Jahre alte Stoffe aus chinesischer Seide gefunden.

Palmyra
Palmyra

Nachdem der römische Kaiser Valerian von den Persern (Sassaniden) gefangen genommen worden war, begann ein lokaler Prinz einen Rachefeldzug und stürmte zweimal die persische Hauptstadt. Allerdings wurde er bald darauf von seinem Neffen ermordet und seine Frau Zenobia übernahm die Herrschaft, erklärte sich zur Kaiserin und Palmyra als unabhängig von Rom. Sie hielt sich für eine Nachfahrin von Kleopatra und eroberte alles zwischen Syrien und Ägypten. Letztlich eroberte der Kaiser Aurelius die verlorenen Gebiete zurück, erwischte Zenobia bei dem Versuch, auf einem Kamel nach Persien zu fliehen und ließ sie letztlich in goldenen Ketten durch Rom paradieren…

Palmyra
Palmyra

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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2
 

Krak des Chevaliers

Kreuzritterburg in Syrien

Krak des Chevaliers
Krak des Chevaliers

Das Bild der Kreuzritterburg Krak des Chevaliers habe ich im Kopf, seit ich als Kind einmal in irgend einem Bildband darüber gestolpert bin. Die dicken Mauern und Türme wurden tatsächlich nie gestürmt, vielmehr gab die Besatzung auf, weil es ihr zu blöd wurde, inmitten von arabischen Armeen. Schwer vorzustellen wie es wohl war für die Europäer, die mit der verrückten Idee hier aufkreuzten, das Heilige Land zu erobern. Es fällt mir auch schwer, all die modernen Gebäude wegzudenken, die die umliegenden Hügel sprenkeln, und die überall herumliegenden Reste eines Konzertes wie Bühnenteile, Stühle und Kloschüsseln…

Krak des Chevaliers
Krak des Chevaliers

 

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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Hama und Apamea

Riesige Wasserräder und römische Säulen

Wasserräder in Hama
Wasserräder in Hama

Hama fand ich etwas enttäuschend. Ich hatte es mir so romantisch vorgestellt, die zwanzig Meter hohen Wasserräder, die mit einem Knarren und Glucksen das Wasser aus dem Fluss heben und in Bewässerungskanäle schaufeln. Stattdessen stehen alle Räder still und der bis auf einige Pfützen ausgetrocknete Fluss ist voller Müll.

Apamea
Apamea

In Apamea schlendere ich die kilometerlangen römischen Säulenkolonnaden entlang. Manche der Säulen sind spiralförmig gedreht, was ziemlich gut aussieht.

Apamea
Apamea

 

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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Aleppo

Eine wundervolle Altstadt im Norden von Syrien

Aleppo
Aleppo

Der Basar hat heute eine ganz besondere Atmosphäre, es ist nämlich Stromausfall. In manchen Ecken rattern Generatoren, aber viele Läden haben nur Kerzen oder Taschenlampen, um ihr Warenangebot zu beleuchten. Die finsteren Gewölbe sind trotzdem gepackt voll mit Menschen, schwer beladene Karren werden durch die Massen manövriert, schwarz verschleierte Frauen bewegen sich wie Schatten an mir vorbei. In der Luft hängt der Duft von Gewürzen und Parfum, es türmen sich Nüsse und Trockenobst, edle Stoffe werden vor den Kunden ausgebreitet. Im Schuhbasar schaue ich einmal genauer auf die aufgestapelten Kartons und stelle fest, dass man hier durchaus die Tradition der Seidenstraße hochhält: „Made in China“ steht auf fast allen…

Aleppo
Aleppo

Ich beobachte, wie eine schwarz verschleierte Frau einer Schaufensterpuppe unter das goldglänzende Mini-Kleid schaut, nebenan werden Spazierstöcke hergestellt, noch etwas weiter hängen Hammelhälften an Harken an den Flügeln einer schweren Metalltür. Plötzlich fragt mich ein Choleriker, wo ich herkomme, er ist fest davon überzeugt, ich sei Israeli und er sieht so aus, als würde er gleich einen Dolch zwischen meine Rippen stoßen. Skurriler Weise hatte ich nur kurz vorher einen Adolf-Fan getroffen, der sich einen Ast freut über jeden Deutschen, den er trifft. Jedenfalls entgehe ich dem Schicksal der Hammel und gehe weiter zur Umayyaden-Moschee. Durch diese schlendere ich mit einem Araber mit langem Bart, in dessen Gesicht jede Falte zu lachen scheint. Wir unterhalten uns prächtig, ohne ein Wort zu verstehen. Wenn ich seine Gesten richtig deute ist er Holzschnitzer aus Qatar, begeistert, hier zu sein, begeistert, mich zu treffen. Ein anderer ist fest davon überzeugt, dass es der Wirtschaft in Europa nur deshalb nicht gut geht, weil wir keine Araber-freundliche Politik machen… Den Präsidenten al-Assad findet er gut, dieser wolle Frieden, selbst mit Israel, und es sei doch gut, Frieden mit den Nachbarn zu haben. Dem kann ich nur zustimmen, auch wenn ich nicht glaube, es sei allein die Schuld von Amerika, dass es nicht längst so weit ist. Und auch wenn al-Assad sein Amt, wie in dieser Gegend üblich, von seinem Vater geerbt hat, der sich in den 60ern gegen seine eigene Partei an die Macht geputscht hatte. Dass der Vater sich mit der Sowjetunion verbündete, sieht man noch immer an den vielen alten Schildern, auf denen auf Russisch „Fabrikverkauf“ oder ähnliches steht. Damit stand die syrische Baath-Partei im Gegensatz zur irakischen. Der Polizeistaat wurde unter anderem bekannt, als ein Aufstand der islamistisch-faschistoiden Muslimbrüder in einem riesigen Massaker endete. Wie fest der Sohn im Sattel sitzt, weiß niemand so genau, jedenfalls steht auf einem Schild an der Grenze „Willkommen im Syrien von al-Assad“, als sei es ein Königreich.

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In der weiteren Umgebung von Aleppo liegen die Ruinen mehrerer römischer bzw. byzantinischer Städte, mal auf einem kargen, verkarsteten Plateau, mal versteckt in einem Olivenhain. Besonders beeindruckend sind die Reste der einst riesigen Basilika St. Simeon. Der exzentrische Heilige saß hier einst sein Leben lang auf einer hohen Säule. Wegen so einem Blödsinn wurde man damals noch bewundert!


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2
 

 

Museen in Ankara und Antakya

Museum für Anatolische Zivilisationen und Mosaikenmuseum

Die lange Fahrt vom Norden nach Syrien unterbreche ich, um zwei sehenswerte Museen zu besuchen.

Das Museum für Anatolische Zivilisationen in Ankara zeigt hervorragende Artefakte von der Steinzeit bis zu den Hethitern und Phrygiern. Die Funde von Çatalhöyük sind faszinierend. Eine neolithische Stadt (Straßen waren wohl noch nicht erfunden, man musste von Dach zu Dach um in ein Haus zu kommen), aus der nicht nur eine tönerne dicke Muttergottheit stammt, sondern auch Wandgemälde. Nicht nur Jagdszenen und Leoparden, eines zeigt stilisiert die Stadt und im Hintergrund den Vulkan Hasan Dagi mit strombolianischer Eruption. Das ist bestimmt die älteste künstlerische Darstellung eines Vulkanausbruchs! Wunderschön sind auch die bronzenen Büffel und Hirsche, mit Elektrum verziert (aus Alacahöyük, frühe Bronzezeit). Monumental die riesigen, mit Reliefs versehenen Steinblöcke der Hethiter… Und nach den Phrygiern, um die 700 v. Chr., hören die anatolischen Zivilisationen schon wieder auf… Zumindest in diesem Museum.

Das Museum von Antakya hat eine riesige Sammlung wunderschöner römischer Mosaiken. Davon abgesehen ist die Stadt aber grauenhaft, Betonblocks und der Fluss stinkt wie eine Kloake.


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
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Türkische Schwarzmeerküste

Reise entlang der Küste mit Kloster Sumela, Trabzon, Amasya, Sinop, Amasra und Safranbolu

Sumela
Sumela

Wie ein Schwalbennest klebt das byzantinische Kloster Sumela an einer Felswand. Von weitem sieht es großartig aus, die Schlucht mit dunklem Nadelwald, Wasserfällen, Felsen, die dicken Mauern. Innen drängen sich dann aber auf engstem Raum mehr Touristen, als ich in den letzten Wochen insgesamt gesehen habe. Und freilich sind die wuchtigen Bauten, hinter denen sich die kleinen älteren Teile verstecken, gerade mal ein- bis zweihundert Jahre alt…

Sumela
Sumela

Spannender finde ich die Fresken in der Aya Sofia (13. Jh.) in Trabzon selbst. Die Himmelfahrt scheint dem Jesus nicht gut zu bekommen, er ist ganz grün im Gesicht!

Amasya
Amasya

Für ein paar hundert Kilometer zieht sich direkt am Ufer eine Schnellstraße entlang, kein Grund zum Anhalten. Mein nächster Stop, etwas ins Landesinnere, ist das relativ unbekannte Amasya. Eine hübsche Altstadt entlang des Flusses und in der Felswand unterhalb der Zitadelle die Gräber der pontischen Könige. Nett.

Sinop
Sinop

Ab Sinop wird die Küste wirklich schön, ein winziges Sträßchen schlängelt sich auf und ab von Bucht zu Bucht, grüner Wald fällt hinunter ins blaue Meer, Klippen und einsame Strände. Leider gibt es kaum Verkehr, sodass man nicht mal eben an einem Strand aussteigen kann. Ich hangel mich von Minibus zu Minibus und für ein Stück muss ich zusammen mit vier anderen einen Lift chartern, weil der letzte Minibus des Tages am frühen Nachmittag schon weg war…

Amasra
Amasra

Amasra gilt als der hübscheste Ort entlang der Küste, entsprechend ist er gepackt voll mit (türkischen) Touristen. Trotzdem hübsch gelegen auf einer Halbinsel plus per römischer Brücke angehängtem Inselchen.

Safranbolu
Safranbolu

Safranbolu ist die typische osmanische Kleinstadt, hier wurden die schönen alten Häuser nicht wie in fast allen türkischen Städten abgerissen und durch moderne funktionale Bauten ersetzt, sondern restauriert. Teil des Spaßes ist natürlich, in einem dieser Häuser zu wohnen und auf dem Diwan zu fläzen. Allerdings hat mein Raum auch ein richtiges Bett und ein richtiges Bad, das gabs früher nicht…

Safranbolu
Safranbolu

 

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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2
 

Trekking um den Kaçkar Dagi

Wanderung rund um das Kackar-Massiv (Pontisches Gebirge) im Nordosten der Türkei

Karsee Deniz Gölü
Karsee Deniz Gulu

Das Pontische Gebirge, das sich im Norden der Türkei die Küste entlang zieht, schwingt sich kurz vor Georgien, bevor es in den Kleinen Kaukasus einbiegt, zu seinen höchsten Höhen auf (s.a. Bewegte Bergwelt). Die Kaçkarberge (auch Katschkar) werden auch als die Pontischen Alpen bezeichnet, dunkle, felsige Grate, Nadeln aus Granit, blaue Karseen, Blockfelder. Ich könnte mir vorstellen, dass so einmal die Silvretta aussieht, wenn die Gletscher weggeschmolzen sind.

Katschkar
Katschkar

Drei Tage lang wandere ich um und auf den höchsten Gipfel, Kaçkar Dagi (3937 m). Mein improvisiertes Biwak am See Deniz Gölü übersteht zwei Schauer, zum Glück regnet es nicht die Nacht durch, die zweite Nacht schlafe ich lieber in einem Bergdorf. Dort sind sehr viele türkische Touristen unterwegs, unter denen es eine beliebte Beschäftigung zu sein scheint, wild mit ihren Knarren durch die Gegend zu schießen. Die Bewohner des Dorfes tragen traditionelle Tracht, aber den langen Winter über leben sie doch lieber in Izmir, ohne Tracht.

Katschkar
Katschkar

Eine lohnende Wanderung, auch wenn die Anfahrt endlos lang war. Im Zweifelsfall fährt nur ein Minibus am Tag, auf den ich 5 Stunden lang in einem kleinen Nest warte. Fünf Stunden, die ich nicht einmal nutzen kann, weil ich immer wieder auf eine Stunde später vertröstet werde. Falls es Passagiere gibt…

Der Name Kaçkar kommt übrigens vom armenischen Chatschkar, den reich verzierten Kreuzsteinen, die einst auch in dieser Gegend herumstanden…


Update: Auf dem GR20 in Korsika erinnert mich die Landschaft sehr an diesen Trek am Kaçkar Dagi.


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
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Ani

Ruinen der alten armenischen Stadt in Ostanatolien (Türkei)

Ani
Ani

In der Steppe am Rand einer Schlucht, die heute die Grenze zwischen Türkei und Armenien bildet, liegen die Ruinen von Ani, im 10. Jh. die legendäre Hauptstadt Armeniens und als die Stadt der 1001 Kirchen gepriesen. Mitte des 11. Jh. stürmten die Seldschuken das anatolische Plateau, bei Ani kamen sie natürlich als Erstes vorbei. Später machten die Mongolen und ein Erdbeben der Stadt den Garaus. Heute stehen hier die Ruinen einiger Kirchen und der mächtigen Stadtmauern einsam auf der trockenen, weiten Ebene. Ein leichter Wind wiegt das Gras. Unten, unterhalb der schwarzen Basaltfelsen, ein schmaler Grünstreifen und der Fluss. Wundervoll.

Ani
Ani

Ani ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie ignorant die Türkei mit dem Genozid an den Armeniern umgeht. Sowohl auf der Infotafel am Eingang als auch in den Touribroschüren schaffen sie es, das Wort „Armenien“ nicht zu erwähnen!


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
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Kaukasischer Kreidekreis: Krieg in Georgien

Krieg war im Kaukasus in den letzten Jahrtausenden fast der Normalzustand, man sollte meinen, sie wüssten gut genug, was Krieg bedeutet. An der gebirgigen Grenze zwischen Europa und Asien, Christentum und Islam verschoben sich ununterbrochen die Grenzen, zogen plündernde Reiterhorden vorbei und trugen die angrenzenden großen Reiche, die Perser und Türken, Byzantiner, Araber und Russen ihre Schlachten aus. Vielleicht ist der Krieg aber auch allzu sehr zur Gewohnheit geworden? Kaukasier, so verschieden sie sind, haben die Gemeinsamkeit, dass sie gerne und mit patriotischem Pathos auf die Größe ihres Landes vor zig hunderten von Jahren verweisen und größenwahnsinnig meinen, auf Georgiens goldenes Mittelalter im 12. Jh. und noch früher die Glanzzeit Armeniens. Eigentlich gehöre die halbe Türkei, ein Stück Russland und ein Viertel der anderen beiden Kaukasusländer zu ihnen. Das geht so weit, dass ich sowohl von Armeniern als auch von einer Georgierin höre, Kappadokien sei Armenien bzw. Georgien. Dort lebten zwar viele Armenier, die vor den Arabern geflohen waren, aber unter byzantinischer Herrschaft… Auch Georgien hat es nie so weit geschafft, auch nicht unter Königin Tamar.

Aber so ein Krieg ist ja auch praktisch, um innenpolitische Probleme loszuwerden. Georgien müsse jetzt zusammen stehen, sagt der hitzköpfige Präsident Saakaschwili, der sich noch bei den Wahlen nach den Massendemonstrationen im Dezember anscheinend nur mit Wahlfälschung an der Macht halten konnte. Und siehe da, sie stehen zusammen, es gibt nur noch Patrioten. „Wir haben die bessere Strategie“, erzählt mir ein Jugendlicher mit wuscheligem Haarschopf am zweiten Kriegstag, „und die russischen Piloten sind doch alle betrunken.“ (die georgischen nicht?) Ein paar Tage später sehe ich immer mehr verweinte Gesichter, die Eroberung der abtrünnigen Provinz war doch nicht nur ein kurzer Wochenendspaziergang. Man vergleicht Putin mit Hitler, redet von David gegen Goliath und schiebt alle Schuld auf Russland, das provoziert habe. Provoziert haben jedoch beide Seiten seit Monaten, vermutlich wollten beide den Krieg.

Und die Nachbarn? Armenien hat gute Beziehungen zu Russland, den USA und dem Iran. Eine erstaunliche Mischung! Fällt hingegen nur das Wort „Türkei“, provoziert man schnell emotionale Ausbrüche. Es ist aber auch eine Schande, dass die Türkei den Genozid an den Armeniern während des 1. Weltkrieges noch immer leugnet. Das armenische Gebiet lag davor rund um den Ararat, zwischen Vansee und Sevan, teils unter russischer, teils unter osmanischer Herrschaft. Entsprechend bezeichnen die Armenier die Gegend um Van, heute in der Türkei, als Westarmenien. Um die Sache zu verkomplizieren, beanspruchen die Kurden das Gebiet für Kurdistan… Mit der Demokratie steht es in Armenien ähnlich wie in Georgien, die letzte Wahl hatte wohl mehr Unregelmäßigkeiten als Regelmäßigkeiten, eigentlich sollte eine andere Oligarchie an der Macht sein…

In Aserbaidschan ist das alles einfacher, denn dort gibt es einfach keine Opposition. Wir erlebten in Baku einen Feiertag, an dem mit Feuerwerk nichts Geringeres als die messianische Rückkehr von Heydar Aliyev gefeiert wurde. Dieser lenkte seit Ende der 60er Jahre bis zu seinem Tod die Geschicke von Aserbaidschan, erst als Präsident der Sowjetrepublik und lokaler KGB Chef. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war er erstmal im Exil in Moskau, doch wenig später nahm er die Zügel wieder in die Hand, rettete das im Chaos versinkende Land durch einen Waffenstillstand im Krieg um Karabach und holte ausländische Ölfirmen ins Land. Das verlorene Karabach bleibt allerdings das nationale Trauma (Armenier bestehen hingegen darauf, Karabach sei schon immer armenisch gewesen…). Sein Sohn Ilham Aliyev übernahm das Amt, wuchtig wie ein Walross, komplett mit Schnurrbart. Beide sind in jeder Ecke des Landes auf überdimensionierten Plakaten zu sehen, mit dem breiten Lächeln eines Teppichhändlers. Vermutlich muss man der Dynastie Aliyev zugutehalten, den lachenden Diktator erfunden zu haben. Im Falle Aserbaidschan wird allerdings der nationale Mythos erst so langsam erfunden, das Khanat Shirvan war mehr oder weniger ein Anhängsel von Persien und für Iraner ist Aserbaidschan in erster Linie eine Provinz im Norden des Iran. Aus dieser, aus Ardabil, stammt die Safavid Dynastie, der wir unter anderem die Moscheen von Isfahan zu verdanken haben. Auf diese beruft sich ein Azeri, als er zu mir meint, Aserbaidschan sei einmal ein großes und mächtiges Reich gewesen…


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Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
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