Tiflis ist so europäisch, wie es eine asiatische Stadt nur sein kann. Die Innenstadt ist voll von hippen Cafés und Bars, breite, von Bäumen gesäumte Straßen, es gibt exzellente Schablonengraffitis und jede Menge Kirchen. Die Kühe mitten auf einem Kreisverkehr und die entspannenden Thermalbäder im Hamam-Stil sind dann aber doch wieder asiatisch. Europa oder Asien? Für Georgier ist es eindeutig Europa, vermutlich einer kulturellen Definition entsprechend. Ich dachte immer, die Hauptkette des Kaukasus sei die Grenze zwischen beiden Kontinenten, demnach wäre es Asien. Die Sutur der Tethys verläuft durch den Kleinen Kaukasus, aber sie trennt Eurasien von Gondwana, geologisch gesehen macht eine Trennung Eurasiens wenig Sinn.
Wie auch immer, die Stadt wurde immer mal wieder von Mongolen oder Persern zerstört, sodass kaum ein Gebäude älter als 200 Jahre ist.
Ein georgisch orthodoxer Gottesdienst erscheint einem Laien wie mir schon sehr chaotisch. Die Kirche ist prall voll von Gläubigen jeden Alters, allerdings überwiegend Frauen, meist mit Kopftuch. Man kommt und geht, quatscht und tuschelt, im Zweifelsfall auch mit dem Handy. Manche zünden Kerzen an oder küssen eine Ikone. Wenn der Chor singt, wird es kurz etwas ruhiger. Einmal kommt alles in Bewegung, zwei Priester stehen in der Mitte der Gemeinde und pinseln den Anstehenden ein Kreuz auf die Stirn. Weihrauch wird geschwenkt. Ansonsten ist von den Priestern nicht viel zu sehen, hin und wieder taucht einer in der Tür der Ikonostase auf, dreht dem Publikum aber die meiste Zeit den Rücken zu. Gelegentlich kommt er für ein paar Sekunden hervor, alle bekreuzigen sich und schon ist er wieder weg. Das ganze scheint ewig zu dauern, aber ganz plötzlich ist es vorbei, die Tür wird geschlossen und ein Vorhang in die Lücke darüber geschoben. Wie zu erwarten, fällt nach gefallenem Vorhang der Applaus aus. Und doch ist auch bei der nächsten Vorstellung wieder ein volles Haus zu erwarten.
Die Umgebung von Tiflis hat einiges zu bieten. Mtskheta liegt hübsch am Zusammenfluss zweier Flüsse und ist so eine Art spirituelles Zentrum der georgianisch Orthodoxen. Immerhin soll unter der hiesigen Kathedrale aus dem 11. Jh. das leibhaftige Gewand von Jesus liegen. Im Vergleich zu dieser verblassen all die Kirchen in der Hauptstadt.
Kurz vor der Grenze zu Aserbaidschan liegt in hügeliger Steppenlandschaft das Kloster Davit Gareja und einige Höhlenklöster. Trotz der einsamen Lage war es über Jahrhunderte hinweg eine der wichtigsten religiösen Stätten des Landes.
Angeblich wurde in Georgien vor 7000 Jahren der Wein erfunden und so komme ich nicht umhin, bei Telavi eine Winzerei zu besichtigen und auch so manchen Tropfen zu probieren. Und um Telavi gibt es nicht nur Wein, sondern auch alte Kirchen in Fülle…
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Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2